Tausende Metalfans feiern drei Tage Rock am Stück in Fritzlar
Am Wochenende sind Hardrock- und Heavy-Metal-Fans in Geismar (Fritzlar) voll auf ihre Kosten gekommen. Denn vom 18. bis zum 20. Juli 2019 hat die elfte Ausgabe des Rock am Stück Festivals mit Top-Acts wie Airbourne, Eisbrecher, Amorphis, Hämatom oder Rose Tattoo stattgefunden. In ausgelassener Stimmung und bei abwechslungsreicher Musik haben die Festivalbesucher trotz vereinzelten Regenschauern insgesamt 39 Bands auf zwei Bühnen gefeiert.
Erfahrene Festivalgänger wissen, dass drei Tage und Nächte auf einem Open Air Kräfte zehrend sind. Wenn man jedoch die Zeit wie beim Rock am Stück Festival dermaßen musikalisch sowie atmosphärisch versüßt bekommt, dann nimmt man das jederzeit gerne wieder in Kauf. Noch frisch und erholt laufen wir bei bestem Open Air Wetter an den ersten Festivalbesuchern und Campern vorbei Richtung Festgelände, dem Areal von Familie Keßler bei Geismar. Schon lange bevor wir den Campground passieren, hört man die rockigen Klänge, die das idyllisch gelegene Tälchen erschallen. Laut Running Order dürfte gerade Beyond the Ocean spielen. Die Besucherzahl ist dort noch überschaubar. Doch wo man hinschaut, blickt man in entspannte und strahlende Gesichter. Inzwischen geben Hollowed auf der Giro Young Stage den Ton an. Die jungen Thrasher machen einen dynamischen, spielfreudigen Eindruck, der gut den Anwesenden einheizt. Die Bühnenpräsenz der vier Jungs steckt an. Diese ist bei den Nachfolgern von Broken Resistance ausbaubar. Doch das Quartett weiß mit harten Gitarrenriffs und Druck vom Schlagzeug, wie man Thrashmetal-Fans in Bewegung bringt. Bei der anschließenden Applausmessung, die von den zwei Moderatoren Michael „Herman“ Döring und Torsten Schmidt durchgeführt wird, geht letztere Band als Sieger hervor.
Bis dich die Tanzwut packt: Kraftvolle Label Night
Human Zoo eröffnen auf der Mainstage die AFM Records Label Night, bei der heute überwiegend Bands des Unternehmens zu sehen sind. Die Hardrocker spielen neben der klassischen Besetzung mit einem Keyboard und einem Saxofon. Ein Touch von 80er-Glam weht musikalisch wie optisch über das Podium: mit langem, blondem Haar von einem weißem Bandana gehalten und mit kräftiger Stimme animiert der Frontmann die Festivalbesucher. „Wir sind zwar noch nicht so viele, aber es macht Spaß hier zu sein“, verkündet er unter dem Beifall. Und ja, es macht Spaß! Denn Human Zoo liefern einen abwechslungsreichen Metalsound, der vor allem durch die prägnante Gitarre getragen wird. Dominant bei Iron Bastards ist dagegen eher der Bassist, der zeitgleich singt. Das Trio erinnert doch irgendwie an Motörhead. Auch vom Gesang und den Riffs her haben wir stets den Eindruck, dass die Band bemüht ist, nach dem guten Lemmy zu streben und dabei ihr neues Album anzupreisen. So bleibt es relativ ruhig vor der Bühne, wo man relaxed mit seinem Bier in der Hand den drei Franzosen lauscht. Danach wird es gewaltig. Der Doublebass prescht begleitet vom kreischenden Gesang des Manimal-Sängers über das Rock am Stück Gelände. Die vier Schweden mit den geschminkten Panda-Augen zeigen sich melodisch aber hart und das kommt an. Die Fans recken Fäuste bzw. die berühmte Pommesgabel gen Himmel oder wippen zum Rhythmus, der zwischendurch vom Gitarrensolo unterbrochen wird. „Fasten your Seatbelts“, kündigt der Sänger zu Recht an, denn Manimal nehmen gut Fahrt auf. Bis zum Ende ist Stimmung da und die Band erntet den wohlverdienten Beifall. Erneut tritt Herman, einer der Veranstalter, vor die Menge, diesmal um der Familie Keßler zu danken, die das Gelände wieder für die elfte Wiederholung des Rock-Events zur Verfügung gestellt hat. Elvenking rocken im Anschluss in der untergehenden Sonne. Der Metalsound gepaart mit Folkklängen, die die E-Geige wohl dosiert einfließen lässt, macht vielen Laune. In den vorderen Reihen wird munter getanzt und mit den Haaren geschüttelt. „Lasst uns durchdrehen“, so die Ansage von Teufel. Der Frontmann von Tanzwut, die als heutiger Headliner den ersten Festivaltag krönen, erzählt mittelalterliche Geschichten und spinnt passend zum neuen Album „Seemannsgarn“. Flammensäulen steigen von Zeit zu Zeit empor und hüllen die musikalischen Erzählungen in mystische Wärme ein. Zu rockigen Klängen der Berliner Band erklingen Sackpfeifen, dass so manchen wortwörtlich die Tanzwut packt, wenn Songs wie beispielsweise „Reiter ohne Kopf“, „Das Gerücht“ oder „Brüder im Geiste“ in die Nacht schallen. Ein Feuerwerk beendet den Gig und Brothers of Metal, die achtköpfige Schweden-Formation, die erst ihre zweite Show in Deutschland spielt, lassen den ersten Tag als „Mitternacht Highlight“ würdig ausklingen.
Freibier und Unterhaltung von Bluesrock bis zu NDH
Tag 2 startet leicht bewölkt und zu den Klängen von Solace auf der Mainstage. „Als erste Band zu spielen hat zwei Vorteile: Erstens können wir früher anfangen zu trinken und zweitens riecht das Mikrofon noch nicht nach Bockwurst“, begrüßt der Sänger das teils noch verkaterte Publikum. Mit der Zeit krabbeln weitere Festivalbesucher aus ihren Zelten, um bei z. B. TonTourismus standesgemäß in den Tag zu rocken. Und das geht bei der Band auf der Giro Young Stage hervorragend, denn die fünf Jungs sind gut drauf und haben sichtlich Bock. Trotz des sich zuziehenden Himmels geht es dann ebenfalls bei der „Mittelfinger Autorität“ BRDigung munter vor sowie auf der Hauptbühne zu. Aufgrund Vaterschaftsfreuden des Gitarristen tritt die Band in leicht veränderter Konstellation auf – eben „Familienfreundlich wie die Sau“, so deren Lied dazu. Lieder wie „Tanz mein dickes Kind“ oder „Drogen im Haus“ zeigen nicht nur soziale Missstände auf sondern bringen durchaus Schwung in die Menge. Einen langen Weg aus Bangalore/Indien haben Kryptos auf sich genommen, um heute die Metalheads in Fritzlar glücklich zu machen. Peitschende Riffs und donnernde Beats lassen die Haare fliegen. Wen der Hunger zwischenzeitlich packt oder sich für den nächsten Auftritt stärken möchte, findet auf dem Gelände reichlich Auswahl. Ob Pizza, vegane Suppe oder den Rock am Stück Spezial Burger „RASinator“, es ist für jeden Geschmack etwas Gutes geboten. Eine extravagante Show zeigen dann Ost+Front, zu denen es sich vor Bühne spürbar verdichtet. Zart besaitet sollte man bei der Show der Berliner Band definitiv nicht sein, wenn Songs wie „Heavy Metal“ und „Bruderherz“ live präsentiert werden. Mal muss der Keyboarder leiden, der zu Beginn in Gasmaske und Dirndl gekleidet mit dem Schild „Ich bin hier unfreiwillig“ seinen Platz eingenommen hat, mal muss die Dame im wechselnden Latex-Outfit herhalten. Doch die Fans sind hart im Nehmen und feiern frenetisch die maskierten Jungs bis zum Schlussakkord von „Bitte schlag mich“, dem letzten Lied der Zugabe. Während man für die nächste Gruppe umbaut, rocken auf der kleinen Bühne Leidbild. An der Hütte, in der Ost+Front ihre gerade Autogrammstunde halten, schlendern wir mit unserem Bierchen vorbei und begeben uns vor zu Pyogenesis, die mit ihren harten Sound und Flammenwerfer gut einheizen. Herman und Torsten sind nun am Zug, ihr gestriges Versprechen einzulösen. Und bevor Rose Tattoo die Bühne entern, verkünden die beiden RaS-Moderatoren, dass an den Bierständen für nächsten zehn Minuten Freibier ausgeschenkt wird. Mit dem kühlen Gastgebergeschenk in der Hand wird ordentlich zu dem Bluesrock gegroovt. Das Quintett spielt zwar sanfter als die Vorgänger, was sich jedoch keineswegs auf die Stimmung auswirkt, denn „Nice boys don‘t Play Rock n Roll“. Im Gegenteil, vor der Mainstage ist jetzt das Rock ‚N‘ Roll Boogie-Feeling ausgebrochen – „Sweet Love Rock n Roll“ bei Rock am Stück treibt das Stimmungsbarometer weit nach oben. Die Menge tanzt und singt auf dem Acker vor der Mainstage. Düsterer treten dann Amorphis an. Tiefe sowie stumpfe Töne begleiten die gut gelaunten Besucher in den Sonnenuntergang. Die Band präsentiert einen bunten Mix aus altem und neuem Material, das mit Freude angenommen wird. Den Abend beschießen die Jungs von Eisbrecher mit einem imposanten Auftritt. Neben brachialen NDH-Tönen bietet vor allem Frontmann Alex jede Menge Unterhaltung untermalt von einer sehenswerten Lichtshow. Ein Konzept das wieder mal aufgeht und von Anfang bis Ende zündet. Ein kleiner Witz hier, ein nicht allzu ernst gemeinter Seitenhieb da und eine Jodeleinlage für die Ladies gehen in die Energie geladenen Lieder über. Angefangen von „Verrückt“ über „1000 Narben“ bis hin zum Bandhit „Miststück“ wird natürlich lautstark bis nach Mitternacht mitgesungen. Mit „Junge komm bald wieder“ und einen Feuerwerk schleichen die Besucher teils erschöpft aber alle glücklich zu ihren Unterkünften zurück.
Grandioses Finale mit Abkühlung
Loudstark werden die Leute auf den Campgrounds aus ihren Zelten gerissen. Am dritten Tag liegt ordentlich Energie in der Luft, die auch die Band ausstrahlt. So muss ein Einstieg in einen viel versprechenden Festivaltag sein. Danach rockt Nils alleine mit seiner Gitarre die Giro Young Stage. Unter dem Beifall der Anwesenden spielt der blonde Junge Auszüge von AC/DC, Metallica oder einfach seinem alten Gitarrenbuch. Die Sonne über dem Areal brennt und inzwischen locken Arion einige vor die Hauptbühne. Ihr Moderne Melodic Metal macht Laune, so dass die Finnen gebührend gefeiert werden. Das schwül-warme Wetter verleitet uns derweil zum Eisstand zu gehen, so dass wir leicht abgekühlt mit den Schweden von Dynazty weiter Rock am Stück genießen dürfen. Aber die Abkühlung danach hält nur solange an, bis Null Positiv die Bühne besteigen. Bei Elli und ihren drei Männern sowie den zwei leicht bekleideten Backgroundtänzerinnen geht heiß zur Sache, so dass dem ein oder anderen der Schweiß auf der Stirn steht. Wohlgemerkt, nicht nur von der Sonne. Zu Toxpack verdunkelt sich dann der Himmel und Wolken ziehen über Geismar. Noch bleibt es trocken, was sich aber schnell ändert. Der zunehmende Regen, der einigen sogar willkommen zu sein scheint, stört zunächst wenige bei der Bühne am Biergarten. Als Odium auf der Giro Young Stage die letzten Töne schmettern, hat sich glücklicherweise der Wolkenbruch verzogen. Vor der kleinen Bühne herrscht nun reger Anlauf, denn die Band mit anscheinend nicht kleiner Fanbase sorgt durch harte Riffs für ordentlich Stimmung. Hart zur Sache geht es auch auf und vor der Mainstage zu. Caliban stiften einen Circlepit und später eine Wall of Death an. „Ich weiß, es ist der dritte Tag und manche sind fertig. Aber ich will, dass ihr alles gebt!“, sagt der Frontmann. Gesagt, getan! Die Security bekommt mit Crowdsurfern allerhand zu tun, während auf dem Acker die Menge tobt und der Himmel abermals seine Schleusen öffnet. Die hart gesottenen Fans stört die von oben kommende Erfrischung recht wenig, so dass Hämatom im Anschluss der Stimmung am letzten Festivaltag sogar noch einen drauf setzen können. Die NDH-Band, die ihr 15-jähriges Jubiläum feiert, holt das Publikum in seiner Feierlaune ab und katapultiert die Stimmung ganz weit nach oben. Dabei präsentieren sich Nord, Ost, Süd und West ganz fannahe. Der Drummer lässt sich auf einem Brett mit seinem Schlagzeug durch die Menge tragen. Crowdsurfen war gestern, jetzt gibt es Drumsurfing. Wenig später nimmt der Sänger seinen Platz in der Menge ein, um mit den Fans gemeinsam ein Liedchen zu singen. Das Gelände ist seit langem richtig gut gefüllt. Wo man hinschaut, sieht man teils erschöpfte aber immer noch feierwütige Besucher, die zum Ausklang des Open Airs noch alles geben. Und in dieser ausgelassenen Atmosphäre krönt Airbourne das Rock am Stück Festival. Die Australische Rockband tritt mit „Ready to Rock“ voll aufs Gas. Neben dem rockigen Sound von Downunder werden Bierdosen mit dem Kopf geöffnet und Bierbecher im Publikum verteilt und nicht zuletzt selbst verköstigt. Sänger und Gitarrist Joel O’Keeffe wirbelt dabei mit seiner Gitarre wie wild über das Podium. Songs wie „Too Much, Too Young, Too Fast“ oder „It’s All for Rock ’n‘ Roll“ lassen viele Haare und einige Bierbecher fliegen. Mit „Runnin‘ Wild“ enden (für uns) drei intensive Festivaltage in Geismar, in denen man friedlich sowie ausgelassen bei einem tollen Lineup feiern konnte. An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an alle Organisatoren und Helfer. Bis nächstes Jahr, wenn Sodom, Stahlzeit, Kärbholz, Kissin‘ Dynamite und The Headlines den Acker nahe Fritzlar zum Beben bringen.