Beim X-Over-Mannem Festival zurück in die Jugend

Beim X-Over-Mannem Festival zurück in die Jugend

Kleine Festivals haben durchaus ihren Charme, zumal das Programm des Zeltfestivals Rhein-Neckar 2022 eine Menge Highlights aufzuweisen hat. So kamen wir als Kinder der Neunziger (zumindest musikalisch) am X-Over Mannem natürlich kaum vorbei. Da es uns 90ger-Jahre-Djs bislang eh nie recht machen konnten, hören wir uns die Musik schließlich lieber live an. So gesehen war der Besuch des Zeltfestival Rhein-Neckar ein kleiner Schritt für unseren DeLorean, aber ein großer Schritt tief in die totgeglaubte CrossoverSzene, die hier an besagtem Freitag, den 27.05.22 zahlreich zusammengekommen ist.

Los ging’s mit den Lokalmatadoren VP-1. Diese heizen die ersten Gäste mit viel Herzblut und Metal gepaart mit Hardcore auf. Die magische Energie von Livegigs ist schlagartig wieder zu spüren, und überhaupt: Man merkt sowohl den jungen als auch den erfahreneren Bands des Abends an, dass man nach der Zwangspause noch (oder nochmal) klarstellen möchte, dass man es noch drauf hat-das Rocken.

Wegbegründer und Crossoverhelden Dog Eat Dog aus New Jersey starten ihr Set mit dem Sound der Beastie Boys und zelebrieren gleich die hörbare Nähe zum Rap der Neunziger. Passt soweit, denn der charakteristische Sound der Amerikaner stand dem Rap ja von Beginn an nah, mit sampleartigen Saxophoneinspielungen und Mitsingrefrains. So bedient man definitiv den Wunsch der Masse, die zunehmend in Wallung kommt. Erster Song If these are Good Times und die obligatorischen „Sprecken Sie doitsch“-Plaudereien lassen die Laune steigen, und auch der zweite Song Pull my finger (vom Hitalbum All borrow Kings) vereint Klamauk mit Sound auf eingängige Weise. Man fragt sich, warum. An den fünf Jungs aus Jersey liegt’s jedenfalls nicht, dass Crossover mit der Zeit von den großen Bühnen verschwunden ist.

Man spricht viel mit dem Publikum und der dritte Song Isms (Album: Play Games) handelt von gemäßigt liberaler Gesellschaftskritik und wird deshalb (oder trotz dem) den “Ladies in the house” gewidmet (warum das jetzt bei den Ladies mehr Anklang finden soll?). Wir lieben aber vor allem das Unbeschwerte, den Spaßfaktor der Dogs und die knallenden, groovenden Drums sowie die außergewöhnliche, kehlige Stimme von Sänger John Connor. Alle Bandmitglieder beweisen, dass man durchaus noch mit seinem Besteck umgehen kann.

Das Material ist aber endlich und Sänger John erwähnt den möglichen Grund, warum es nicht nur um Dog Eat Dog, sondern auch und um einige Crossoverbands wie die Kollegen von Clawfinger zwischenzeitlich ruhiger geworden ist, nachdem der Hype um die Hitalben der jeweiligen Band abgeklungen ist: “Dog Eat Dog have been working on a new Album for 15 years… maybe we haven’t worked that hard”, berichtet Sänger John und kann sich das Grinsen schwer verkneifen, als er sich verstohlen den anderen Mitgliedern der Band zuwendet. Ein kleiner Gag, der sicher nicht zum ersten Mal dafür herhalten musste. Aber es ist doch auch angenehm zu sehen, dass nicht alle sich dem Tempo der Musikindustrie unterwerfen wollen.

Auf einen weiteren Gassenhauer wie Who’s the King folgt Never give In (ein neuer Song) and finally No fronts, die Slackerhymne, der perfekte Mix aus Surferkultur und Political Rap.  Ein Paradestück der Crossoverszene, die über den großen Teich in das auch in Deutschland bereits gut gefüllte Becken schwappte.

Als eine Stimmungskanone der anderen Art entpuppen sich die festivalerprobten Emil Bulls. Die Münchner fallen etwas aus dem Crossover-Raster, bekommt aber den ersten längerem Slot des Festivals, denn die Jungs bringen in der Regel eine treue Fanschar mit. Mit nostalgischen TV-Melodien wird die Wartezeit beim Souncheck hinter einem geheimnisvollem Vorhang verkürzt, mit epischen Gesängen aus der Konserve wird gleich mit The Ninth Wave auf‘s Gas gedrückt. Erst Show nach der Pandemie ( klar, wir sind alle noch ein bissle am Fremdeln), aber das Quintett zeigt sich spielfreudig. Die Bulls sind zwar mehr im Modern Metal zuhause, jedoch passt sich der Sound doch erstaunlich gut ins Programm ein und schlägt eine Brücke zu Clawfinger, die ja auch mehr Wert auf Gitarre als auf Samples legen (ganz ohne geht’s aber dann doch nich‘, wie sich später herausstellt).

Souverän spielen die Jungs ein ausgewogenes Set quer durch mehr als 25 Jahre Bandgeschichte, dankbar vereint man sich mit dem Publikum in der Freude über die Rückkehr der Livemusik. Der Stimmung tut das gut, so wird dann auch dem Wunsch nach einem geteilten Moshpit dankbar nachgegeben. Lob gibt es dann vom Lehrer, Sänger “Christ” von Freydorf:”Das macht ihr sehr sehr gut”, gefolgt von Hearteater ist die Band wieder voll in ihrem Element, zu denen v.a. eingängige Refrains und brachiale NuMetal Sounds gehören. Not Tonight Josephine wird zeitweise mit 3 Gitarren gespielt, so knallt das Quintett uns seine Musik um die Ohren, und man fragt sich, ob man schon beim Headliner angelangt ist.

Doch dann kommen Clawfinger und ihre Interpretation von Dad Metal, Verzeihung Rap Metal. Mit ihrem einzigartigen  Sound fangen sie den Abend neu an und sind doch vom ersten Takt an die Alten, Der Sound im Zelt, anfangs recht dumpf abgemischt, ist mittlerweile etwas differenzierter, was sicher auch an der deutlich gefüllten Venue liegt. Die Tatsache, dass vor allem zwei Alben die Karriere maßgeblich geprägt haben, verbindet sie mit Dog Eat Dog, woraus beide Bands keinen Hehl machen. Und dies nutzen auch die Finnen, um den Spaß am Live Spielen zu betonen.  So strotzen die meisten Texte zwar vor zynischer “Finger-in-die-Wunde-Gesellschaftskritik”, die Ansagen zwischen den Songs erinnern eher an ein Ehemaligentreffen (Plauzenvergleich inklusive).

Eine neue Single bringen auch Clawfinger mit: Environmental Patience heißt diese ganz zeitgemäß, klingt aber unverkennbar nach Clawfinger. Bei The Truth sind Dog Eat Dog gleich noch mit auf der Bühne. Nicht als Musiker, sondern als Fans! Man endet mit Do What I Say, und als die Kinderstimmen des Refrains schon lange verklungen sind und die verschwitzt-glücklichen Musiker bereits andeuten, die Bühne zu verlassen, schmettern ihnen die Fans noch lange die Hookline des Liedes hinterher. Beneidenswert! Kann die Stimmung noch besser werden?

Tatsächlich ändert sich die Stimmung etwas und die Spannung steigt als die Guano Apes wie Phoenix aus der Asche die in rotes Licht getauchte Bühne betreten. Es schien etwas ruhiger, geworden zu sein um in Göttingen gegründete deutsche Hoffnung des Crossover. Tatsächlich hat die Band aber in zeitlichen größeren Abständen immer wieder Alben herausgebracht, aber auch mehr als eine gütliche oder weniger einvernehmliche Trennung und Reunions hinter sich. Der 2. Headliner des Abends präsentiert sich aber in souveräner Form. Frontfrau Sandra Nasic schleicht wie ein Tiger im Käfig, der kurz vor der Freilassung steht um ihre Bandkollegen herum. Mit dem Sound der letzten Jahre haben sich die Guanos aber doch etwas vom Sound ihrer Anfänge entfernt und damit scheinbar auch ein neues Publikum für sich gewonnen. Für den Pogo und den Moschpit der Anfangsjahre fehlt da doch die nötige Härte. Gefallen scheint es den Fans trotzdem. Der Coversong von Eminem (Loose yourself) ist dann doch ein harter Brocken, an dem sich die Band etwas übernommen hat. Aber es bleiben ja noch die Perlen aus der Vergangenheit:

Open your Eyes, das Herzstück der Erfolgsgeschichte wirft uns wieder in der Zeit zurück, und tatsächlich gelingt es Nasic die damals so bewunderte Mischung aus Schreien und Singen hervorzuholen. Die Stimmung schlägt wieder weit nach oben aus. Im Refrain hat die hübsche Sängerin schon gar nichts mehr tun, das erledigen die Fans schon. Es ist 22:20 und der Jubel erschallt am lautesten seit die Guano Apes begonnen haben. Als die letzten Töne erklingen haben wir bereits den Fluxkompensator auf Gegenwart programmiert und fliegen zurück, ohne die Crossoverhymnen des Abends zu vergessen. Morgen wird erstmal eine Playlist erstellt: X-Over 2022.

Sebastian Wienert

Redakteur und Fotograf