Ein Hoch auf den Steiffen im Cotton Club Kaiserslautern

Ein Hoch auf den Steiffen im Cotton Club Kaiserslautern

An diesem denkwürdigen Samstagabend im Kaiserslauterer Cotton Club fühlt man sich, als sei man unter Menschen, die alle derselben Religion angehören. Und so frenetisch fällt am 05.05.2018 der Applaus im recht ordentlich besetzten Club dann aus, als der Messias die Bühne betritt. Christian Steiffen, das fällt sofort auf, ist ein Profi, der durch Charisma und Bühnenpräsenz in Sekunden die Aufmerksamkeit auf sich zieht.

 Im Halbplaybackmodus und mit Fans, die an seinen Lippen hängen, kommt beim ersten Song „Wie gut, dass ich hier bin“ sofort gute Stimmung auf. Der erste Song seines ersten Albums „Arbeiter der Liebe“ erweist sich als passgenauer Opener für die liebeshungrige Anhängerschaft. Fans und Interpret beweisen vom ersten Ton an, dass man auf einer Wellenlänge ist, denn mit dem Ausklang des ersten Songs erschallen Zugaberufe und Christian, der das Rüschenhemd neuerdings doch lieber über der Hose trägt, geht sofort darauf ein: „Macht’s gut und vielen Dank für den tollen Abend“.

Wie gleich zu Beginn kann der selbsternannte Poet auch beim zweiten Lied „Ein Glück“ frei wählen, welche Worte er neben das Mikro singt, um es dem Publikum zu überlassen. Letzteres singt und tanzt in Pailletten- und Hawaiihemden, in Hosen mit Schlag sowie mit und ohne Stil und vor allem in Christian Steiffen-Merchandise, dessen Kauf der schnauzbärtige Barde im weiteren Verlauf des Abends auch mit Inbrunst bewirbt (Er verstehe nicht, warum das neue T-Shirt mit V Ausschnitt ein Ladenhüter sein soll, denn er selbst trage ständig V-Ausschnitt, dieser ist „ein Indikator auf die primären Geschlechtsteile“).

Selbst als Neuzugang seiner Jüngerschaft wüsste man gerne, wer die grenzenlose Verehrung im Publikum ernster meint, als man zugeben möchte. Denn ohne seine Fans fiele sein Auftritt weniger glamourös aus. Statt mit Pauken und Trompeten oder flammender Pyrotechnik auf der Bühne zu begeistern, werden Glitterkonfettikanonen aus dem Zuschauerraum abgefeuert. Die Musik kommt zwar größtenteils vom Band, aber sein ambitionierter Keyborder Martin Haseland verleiht der Show die notwendige Authentizität, auch wenn Christian bei Ankündigung des nächsten Songs „Sexualverkehr“, ein Lied, so sexy und catchy,  dass man es gerne bei jeder sich anbietenden Alltagssituation herausschreien möchte, Lust auf mehr macht.

Frivole Zweideutigkeiten über den Mitmusiker „Er kommt gerne mal zu spät“ prägen die Ansagen des Abends. Insiderwitze zwischen dem Schlagerpoeten und seinen Fans offenbaren ein sehr inniges und offenes Verhältnis. Der Titelsong des gleichnamigen Albums „Arbeiter der Liebe“ zeigt ihn als grandiosen Geschichtenerzähler á la Jürgen Drews, dieselbe Souveränität aber deutlich mehr Lässigkeit. Große Gesten und gängige Schlagerhooks, gepaart mit der Tatsache, dass Christian Steiffen seine Musik selbst schreibt und einspielt, zeigen, dass er sich trotz großem Augenzwinkern nicht hinter den populären Größen der Szene verstecken muss. Gerne würde man wissen, ob er das Leben auch lebt, welches sein Bühnen-Ich verkörpert, schließlich behauptet er stets die Wahrheit zu berichten, wenn er sich in Entstehungsgeschichten seiner Songs verliert.

Die wichtigen Dinge des Lebens finden sich alle in seinen Liedern: Einsamkeit, Sexualverkehr und eine Flasche Bier (und du vergisst alle Sorgen und du denkst nicht an morgen). Die Klaviatur der Gefühle wird knallhart ausgenutzt, indem der Song noch einen Refrain auf Französisch verpasst bekommt („une bouteille de biere“). Im folgenden Song „Du und Ich“ wird eine Dame zum Lippensynchronsingen für die Sopranistin Eva Schneidereit eingesetzt, die zwar auf der Platte gesungen hat, aber laut Steiffen „viel zu teuer“ sei, um sie mit auf Tour zu nehmen. Eine Freiwillige aus seiner Fanschar ist schnell gefunden und Christian kann seine Performance fortsetzen, Hand in Hand mit Susan.

Der selbsternannte politische Sänger hält auch schon mal inne und ermahnt das schwätzende Publikum, wenn ihm die Unterhaltungen bei „Die dicksten Eier der Welt“ zu laut werden: „Hört mal zu, das ist jetzt echt wichtig“. Nur mit der Gitarre und einem unerschütterlichen Ego bewaffnet, witzelt er sich durch die Ansagen. So deckt er an diesem Abend ganz nebenbei ein lang gehütetes  Geheimnis auf: „Die wichtigsten zwei Dinge für gutes Aussehen sind: gutes Aussehen und VED Herrenmode Dresden“ und verweist dabei auf sein Bühnenoutfit, ein Traum aus Polyester, das neben Rüschenhemd aus einem Anzug besteht, dessen Hosenbeine so ausgestellt sind, dass man nicht mal sieht, ob der Mann Plateaustiefel trägt oder Teufelshufen hat.

Er fraternisiert mit seinen Fans (von denen einige wohl schon mehrere Konzerte hinter sich haben), indem er sie liebevoll „Freunde“ nennt und teilt mit Ihnen seine Erfahrung und Weisheit („Ich glaube Gott ist Atheist“ heißt es in „Die faule Sau“), oder fragt sie gar um Rat: „als Schlagersänger muss man ständig lernen, Frauennamen lernen, die sich reimen“, doch leider „nichts reimt sich aus Trixi“. Zweifellos ein Höhepunkt ist das Lied „Ich hab dir den Mond gekauft“ (und morgen schieß‘ dich darauf), welches er ganz bodenständig als „das bessere Lied im Vergleich zu Reinhard Meys ‚Über den Wolken'“, als „das ÜBER-über den Wolken“ bezeichnet.

Auch für Feierwütige ist etwas dabei: „Selbstmitleid“ kommt im lässigen Sommergroove daher, „Ich habe Haschisch porbiert“ ist feinster Bierzeltstampf und „Ich fühl mich Disco“ ist LaBoum meets George Michael mit einer Prise Italodance und endlich fällt auch das Kunstfaserjackett. Für das Auge hingegen ist „Champagner und Kaviar“, welches Steiffen mit eindeutigen Tanzeinlagen aus der Pipi-Kacka-Szene untermalt. „Das geht eigentlich nicht“ sang Christian Steiffen noch Minuten davor und das ist auch das Programm des Abends und dem können wir nur beipflichten. Ganz famos ist es trotzdem!

Die Fans im Kaiserslauterer Cotton Club skandieren „Ohne Steif(f)en wär‘ hier gar nix los“ und der Meister fühlt sich in seinem Tun sichtlich bestätigt eine „Veranstaltung der Hochkultur“ auszurichten. Er selbst lehnt – ganz Profi- jedwede Trinkeinladung des Publikums ab „Danke, ich muss noch arbeiten“. Mit „Ferien vom Rock n Roll“ verabschiedet sich Christian, bevor die erste Zugaberunde eingeläutet wird. Die heilsame Kraft der Polonaise lässt dann schließlich keinen kalt und Wave-of-Darkness bleibt trotz weitreichender Konzerterfahrung der Mund offen stehen als unser Glaubensführer sämtliche seiner Jünger raus in die Nacht hinausführt und damit eine ereignisreiche Nacht für alle Beteiligten zu Ende geht. Die Christianisierung des Landes ist schon weiter fortgeschritten als gedacht und wir waren dabei. Eine Welt, ein Steiffen!

Christian, ja wir müssen weinen, wenn du gehst. Wie gut, dass du da warst, denn wir haben die ganze Nacht von dir geträumt.

Fotos: Andreas Schieler

Sebastian Wienert

Redakteur und Fotograf