Extravagant, professionell und lyrisch erleuchtet: Knorkator in Heidelberg

Extravagant, professionell und lyrisch erleuchtet: Knorkator in Heidelberg

Die meiste Band der Welt ist auf ihrer Tour in Heidelberg angekommen. Am 28.02.2020 konnten sich die Besucher der halle02 nur schwer dem ganz und gar eigenen Charme von Knorkator entziehen. Denn bei dem live gebotenen, bizarren Wechselbad aus bunt zusammen gewürfelten Stilistiken, rüdem Gefluche und zarter Poesie bis hin zu pathetischem Größenwahn und infantilem Blödsinn ist innerer Widerstand zwecklos. Besser gesagt: „Zweck ist widerstandslos“. Denn ein Knorkator-Konzert ist nicht wie das andere und erst recht wie alle anderen Konzerte.

Der unbedachte Neuling dürfte wohl mit musikalischer Poesie der Berliner Band überfordert sein. Dies zeigt sich schon von Anfang an. Anstatt einer Vorband steht ein übergroßer Bildschirm vorne, auf dem skurrile Videoclips mal mit mal ohne die „meiste Band der Welt“ für Belustigung sorgt. Die neu synchronisierten Videoausschnitte nehmen vor allem die Kollegen auf die Schippe – von Rammstein über Ed Sheeran bis hin zu der Musikerformation selbst ist ein witziger Querschnitt geboten. Unter den besonders schrägen Orchesterklängen starten Stumpen, Alf, Raijko, Nick und die alte Frau BuzzDee mit ihrer „Absolution“ und damit gleich ein Song, der den vollen Umfang von der Gesangsstimme repräsentiert. Doch nicht nur als ausgebildeter klassischer Sänger sondern auch als eigenartiger Entertainer weiß der zappelige Frontmann zu begeistern. Im Gold glitzernden Outfit samt plüschigen Puschel-Hausschuhen steht der kleine Stumpen auf dem Podest, während er in hohem Operngesang seine schein-lateinischen Wörter jenseits der Schamgrenze trällert. Ebenso glitzernd flankieren Alf Ator am Keyboard und Buzz Dee an der Gitarre die Lebensweisheiten bei „Es kotzt mich an“ oder „Du bist schuld“ im aggressiven Metalsound. Alf, der sich auch als Komponist und Texter verantwortlich zeichnet, stampft in überdimensionalen Plateauschuhen über die Bühnen, um mal mit Stumpen im Duett oder mal solo zu singen. Derweil treibt der stets gechillte Buzz Dee mit seiner hippen Retro-Figur und seinem harten Gitarrenspiel selbstbestimmt den Sound voran.

Die Fans sind ebenso wie Knorkator an diesem Abend mit Hingabe dabei und sich in der Heidelberger halle02 in für nichts zu schade. Lametta fliegt von dem Podium, während die Halle textsicher die extravagante Lyrik begleitet. Wer nicht mitmacht, muss damit rechnen, von Stumpen geknutscht zu werden. So geschieht es zumindest einem jungen Herrn in den vorderen Reihen. Ein anderer Fan, der das wilde Treiben eigentlich mit seinem Smartphone festzuhalten beabsichtigte, bekommt ein „Autogramm“ der besonderen Art. Der spärlich bekleidete Sänger trägt das Gerät für eine Weile in seiner engen Hose trägt, zuerst vorne dann hinten. Die Berliner Schnauze mit temporärer Pumuckl-Stimme macht sich aber nicht alleine zum Affen. Zwei (frei)willige Damen werden bei „Ich hasse Musik“ zum Keyboardständer. Eben dieses wird an Helmen befestigt, auf dem Alf wie immer mit Anmut und Körperspannung spielt und im Anschluss in guter Rockmanier zerschlagen wird. Der Unterhaltung wert ist hoch: Ob mit Diskohalbkugel oder Funkenregen auf dem Kopf, mal im Glitzergewand und mal halbnackt in weiblicher Latexhose ist die Darbietung kurzweilig. Die Bühnenshow bedient sich trotz allem willkürlich wirkendem Klamauk ausgewählter Zutaten und vereint das Beste aus verschiedenen Welten. Was daraus entsteht ist die knorke Welt von Knorkator, angesiedelt im Irgendwo zwischen Genie und Wahnsinn. Denn wie besingt die Band (ironisch) im Lied „Rette sich wer kann“: „Die Farben leuchten, die Lichter funkeln und alles dreht sich zur Musik. So ist es perfekt, so soll es bleiben. Für immer Liebe, Spaß und Glück.“

Natürlich dürfen die Songs der neuen Scheibe „Widerstand ist zwecklos“ nicht fehlen. „Buchstabensuppe“, „Ein Wunsch“, „Revolution“ oder auch das Cover „Ring my Bell“ werden wie weitere Stücke bunt in die Playlist eingebaut. Ein wildes Potpourri mit Hits wie „Böse“, „Verflucht und Zugenäht“ und „Weg nach unten“ quer durch die über 20 Jahre Knorkator-Geschichte ergießt sich über das ebenso mannigfaltige Publikum. Gegen Ende lässt Alf zusammen mit Stumpen den Popo-eten raus, wobei die Beiden mit „Coming in“ ein kurioses Gedicht zum Thema „Selbstbespielerei“ vortragen. Glück erfüllt, lyrisch erleuchtet und unentwegt musikalisch professionell durchgeschüttelt heißt es zum Schluss in der halle02 für alle: „Zähneputzen, Pullern und ab ins Bett“.

Andreas Schieler

Leitung, Redakteur und Fotograf