Punk in Drublic – NOFX’s fulminanter Abschied von der Bühne
Der Punkrockzirkus Punk in Drublic, benannt nach dem 5. Studioalbum der Punkrocklegenden NOFX ist ein letztes Mal auf Reisen. Im Gepäck: eine Entourage aus alten Haudegen, Publikumslieblingen und ein paar Neuentdeckungen. NOFX bieten auf ihrer „Final Tour“ einiges mehr, als man anfangs vermuten mag: Ein ganzes Stück Punk Rock-Geschichte in sechs deutschen Städten, um die 40 Songs und unterschiedliche Sets verspricht Fat Mike für die letzte Tour, und wir waren in Saarbrücken auf dem Gelände des E-Werks am 01.06.2024 dabei.
Es ist bemerkenswert, wie viele Bands sich mittlerweile auf Fat Mikes Label FAT Records tummeln. Denn fast jedes Festival bietet eine andere Vorbandkonstellation. Mag die Auswahl in Saarbrücken zunächst die ganz großen Namen vermissen lassen, so findet sich doch für jeden etwas. Sobald sich eine bunt gemischte Menge aus drei Generationen auf das Gelände hinter dem E-Werk in Saarbrücken wälzt, nimmt die Show ihren Lauf:
Den Anfang machen The Meffs aus Essex/England. Das gemischte Duo spielt No-Nonsense-Punk um die mittagsträge Masse etwas zu unterhalten. Die anfangs zurückhaltende Beteiligung des Publikums ist sicherlich der Tatsache geschuldet, dass noch nicht alle Kartenbesitzer auf dem Festivalgelände sind. Doch die Band entpuppt sich schnell als der Geheimtipp des Tages: Denn die extrovertierte Sängerin Lily lässt sich nicht beirren. Mit Ironie und Körpereinsatz spielt das Duo eine schweißtreibende Show. Dabei nehmen The Meffs sich selbst nicht allzu ernst, ihre Aufgabe als Aufheizer jedoch schon, moderieren Mitsingspiele im breitesten Bri’ish Accent und überraschen mit einer Punk Version von The Prodigy‘ „Exhale“.
The Last Gang schließen sich an und präsentieren den typischen US-Sound der Westküste: Das Ska Punk Californian Style Quartett weiß zu unterhalten, Wir lieben “Berlin to Rome” (Song) schmettert Sängerin Brenna mit rotzigem Ton ins Mikrofon. Die San Fran Veterans liefern mit ihrer Mischung aus treibendem Punk Rock Sound sicher den erwartbaren Teil der Show. Dabei finden sie viele Anhänger. Im Anschluss: Get Dead. Sofort fällt uns die charakteristische Stimme des Sängers auf, der, wie sich herausstellt, in seinem eigenen Kosmos zuhause ist. Stakkato sind Gesang und seine Ansagen. Talco, welche nicht zum ersten Mal mit NOFX unterwegs sind, liefern wieder mehr Ska, vermischt mit einer Prise Energetic Punk. Skamusik hält nicht erst seit der Reunion von No Doubt (die zweifelsohne eher dem Pop zuzuordnen sind) Einzug im Showkonzept von Punk in Drublic und bietet durch die Bläser und einem zunehmenden Publikumsaktivierungsfaktor, durch den spanisch-mexikanischem Gesang kommt viel Action auf die Bühne.
Es folgen Itchy gegen halb sieben. Die Band, die als einzige schwäbisch deutsche Band etwas aus dem Rahmen fällt, sicher aber eine große Fanschar und Reputation mitbringt, schaft es problemlos festivaltaugliche Stimmung zu liefern. Dies geschieht mit viel Spielspaß den man braucht, wenn doch viele eher wegen dem Gastgeber gekommen sind. Mit viel Energie (und nach „Danger Danger“ ein flotter Instrumententausch für den letzten Song) läuten sie der konsumfreudigen und mittlerweile größtenteils angetrunkenen Menge die letzte Phase vor dem Finale ein. „I cant help falling in love with U“ als treibende Punkversion beschließt den kurzen, aber feinen Auftritt des Trios.
Die kultigen Circle Jerks sind „The senior citizens of the tour“ und beginnen mit einer ungewöhnlichen Vorstellungsrunde: „a little bit of punk rock history“. Southern California fast Punk Rock, gespielt von Urgesteinen der ersten Stunde. Mit fast jugendlicher Energie spielen die Senior Achievers Classic Sound (Bad Brains lassen grüßen), und während die einen mittlerweile die gnadenlose Keule des ganztägigen Konsums zu spüren bekommen oder vor dem Merchandise-Stand der exzessiven Kaufsucht frönen, feiert der harte Kern schon vor der Bühne, wo die Spannung auf den NOFX Auftritt steigt.
Neben dem obligatorisch spartanischem Bühnenbild werden zum Set von NOFX Absperrungen am Rand der Bühne errichtet, Familien und Kinder nehmen dort einen Platz ein, „the best seats in the house“. Gelegentlich läuft ein Bandmitglied vorbei und bekommt Applaus, es wird jedoch bis zum Schluss nicht aufgeklärt, wer diese Gruppe Minderjähriger eigentlich sind. Unter tosendem Applaus und traditionell begleitet von „Time Warp“ betreten die Punkveteranen die Bühne und beginnen sogleich Witze auf eigene und auf Kosten des Publikums zu machen, um schließlich mit dem Song „60%“ das ambitionierte Set zu starten, welches immerhin aus mindestens 35 Song besteht. Manche Songs werden als Medley gespielt, einige werden zwischendurch unterbrochen, andere durch ihren unerschöpflichen, manchmal abgrundtief fiesen Blödsinn herausgezögert, der ungefiltert mit dem Publikum geteilt wird. Eine kleine Auswahl: „Who goes to a punk show without a long piece of tape.“; „This is the worst song in the set – of course it’s a Melvin song!“; „What are those kids doing here? Fuck the kids, this is not a show for kids.“; „Melvin, your drink reminds me of John Mellencamp.“
Die Spielfreude der Bandmitglieder ist ungebrochen, die Energie springt wie ein Spielball zwischen Band und Publikum hin und her. Nur die misogynen und geschmacklosen Witze entschleunigen die Show, die wie ein Feuerwerk an Ironie über vergangene und zukünftige Konzerte wenig Zeit für Melancholie lassen. Eine kurze Pause gönnt man sich allerdings doch. Aus der Pause zurück, in der die Kinder Schlagzeug spielen durften, wird nochmal kräftig die Fahne geschwungen: „Separations of Church and State“, der Opener des Zugabeblocks (Mike’s favourite, wobei…das sagt er mehrmalswährend des Sets) lässt den Anfang vom Ende ahnen, an Energie hat die beinahe zu Grabe getragene Band jedoch bis zum Schluss kaum eingebüßt.
Die Show war ein würdiger Abgang, wer aufrichtige Rührseeligkeit erwartet hat, der wurde enttäuscht; Gott sei Dank, denn den Sarkasmus brauchen sie jetzt auch nicht mehr abzulegen. Am Ende wird Mike aber dann doch melancholisch und tauscht mit der ersten Reihe Umarmungen und nette Worte aus. Man scheint fast etwas Gütiges im Gesicht des 57-jährigen zu erkennen. Als wir den Platz verlassen, schwingen in unseren Trommelfellen noch die zahlreichen Ohrwurm-Melodien der letzten acht Stunden Punkrock nach, die wir so schnell nicht mehr aus dem Kopf bekommen werden. So long NOFX and thank you for the music!
Fotos von Andreas Schieler