Rockaway Beach – Großartiges Line-Up am Strand von Losheim

Rockaway Beach – Großartiges Line-Up am Strand von Losheim

Rockaway Beach – eigentlich ein Stadtteil von Queens/New York hat eine Tradition in der alternativen Musikszene seit er von den Ramones besungen wurde.  Für den gemeinen New Yorker ist der Strand ein Ausflugsziel für Tagesausflüge – etwa wie Brighton für den Londoner entflieht man dem Großstadtleben. Ein Tagesausflug ins Saarland für ein feines Indie-Festival muss in Ermangelung eines Meeresstrandes an einen Badesee geschehen. 

Dort hat das Label Grand Hotel van Cleef am 31.08.18 einige ihrer erfolgreichsten Acts zusammengeführt, um ein Festival für alternative Musik zu gestalten, das den Stress der großen Festivals vor der Tür lässt, ohne dass die Zuhörer auf eine professionelle Beschallung verzichten müssen. Das Line-up liest sich wie eine Geheimtippliste alternativer Musik, deshalb stört es uns auch nicht, dass wir wegen Cyanobakterien nicht im See planschen dürfen. Denn das kleine Festival hat mit seinen zwei Stages, einer Knutsch-Zone mitten am Strand und Street Food vom Feinsten allerhand zu bieten:

Lygo machen den Anfang auf der Hauptbühne, nehmen den deutschsprachigen Punk in klassischer Triobesetzung ein und zeigen sich dankbar, dass sich um 16 Uhr bereits ein ordentlicher Haufen Leute vor der Bühne eingefunden hat. Dieses Jahr waren die Bonner bereits mit The Baboon Show auf Tour, hier sehen sich also Bekannte wieder.

Die Second Stage erweist sich als kleine, mit einem Holzverschlag eingefasste Bühne, auf der man bestenfalls kleine talentierte Local Acts erwarten würde. Wie der spätere Verlauf zeigt, wird sich dort noch allerhand Prominenz einfinden, die diese kleine Bühne auszufüllen wissen. Gerade die Schwedenpunker The Baboon Show (WOD berichtete) fühlen sich hier pudelwohl – Aber dazu später.

Dort finden wir uns zum ersten kleinen Highlight dieses Tages ein, denn kleiner und gemütlicher lieben es scheinbar auch Fortuna Ehrenfeld, die die Sache mit dem Musikbusiness nicht ganz so verbissen angehen wie andere Popmusiker. Sänger Martin erscheint im Pyjama, nebst Tatzenhausschuhen und Federboa. Stilecht für den „Frühaufsteher“ hat er einen Pappkaffeebecher in der Hand, der im Verlauf des Auftritts mehrmals mit Rotwein gefüllt wird. Es gehört eben doch ein wenig Show dazu, diese allerdings ist höchst unterhaltsam. Dreh- und Angelpunkt sind die sphärisch experimentellen Synthieklänge die zwischen altmodisch und modern schwelgen, im Herzen ist Sänger Martin ein Geschichtenerzähler fast wie ein junger Bruce Springsteen – amüsante Texte, die die Realität in Fetzen zu schneiden scheinen, um sie anschließend völlig willkürlich wieder zusammenzusetzen. Morgens um fünf im Mägges, Pornokino, Hundeherz, Glitzerschwein, darum geht’s, doch am Ende ergibt alles einen Sinn und die Band entpuppt sich als heimlicher Überraschungsfavorit, denn von einem guten Festivalbesuch kommt man idealerweise auch als Fan von etwas Neuem zurück, bringt man mindestens einen neuen Geheimtip mit nach Hause.

Die Karawane zieht weiter zurück zur Hauptbühne und muss dazu gerade mal 50 Meter zurücklegen. Wer möchte kann hier ohne Pause der Musik frönen, aber seinen Ohren und Augen auch eine Pause gönnen und sich an der vielseitigen Auswahl der Foodtrucks laben oder einfach nur ein Bier zischen. Saarländer Gin und Mexikanische Chili Cheese Fries könnten einem schon die Badehosenfigur ruinieren, wäre man denn nicht wegen der guten Musik hier. So trifft man sich stattdessen lieber mit der (Almost) All Girl Combo Gurr aus Berlin.

Gurr gurren ihren Nostalgiegaragenrock mit Witz und Authentizität und schwitzen mit jeder Pore aus, dass man etwas von der Tatsache übermannt ist, hier auf diesem feinen Festival zu sein und miteinander abgeht. Immer wieder witzeln die Damen darüber, lieber das Line-Up des Saarmageddon zu zieren. Dafür reicht’s dann wohl noch nicht, die richtige Attitude haben sie schonmal und stilsicher ist man dabei auch noch.

Belgrad schlagen wiederum ruhigere, synthielastige Töne an und gehen eigene Wege, liefern eine keineswegs träge Melange aus Postpunk, New Wave und 80ger Sounds. Eine letzte Station bevor es auf der Main Stage zur Sache geht und ich mache mich über das tolle Essensangebot her.

Dann legen FJØRT auf der Hauptbühne drei Gänge zu, rollen das Feld von vorne und hinten auf und läuten den Festivalabend ein. Bassist David Frings, der sich zu einem der Hauptakteure des heutigen Abends entwickeln wird, begeistert mit seiner agilen Bühnenpräsens und hält ein leidenschaftliches Plädoyer für Menschlichkeit und Aufbegehren im Namen der Toleranz. Politisch, leidenschaftlich, intensiv geht es auch in den Texten zu. Wie Hirsch Effekt schaffen es Fjort ruhige Klänge und absolute Soundwände in einen Song zu extrahieren, dies schafft Eingängigkeit und Reibung zugleich, ein intensives Rezept, das kein Auge trocken lässt und für begeisterten Applaus sorgt. Man ertappt Martin von Fortuna Ehrenfeld, der im Hoodie getarnt durch die Menge schleicht und mitfeiert.

Guter Dinge wandert die Masse zu Tim Vantol, ein gebürtig niederländischer Singer/Songwriter, der Kontrasprogramm und willkommene harmonische Akkustikklänge präsentiert. Der sympathische junge Mann richtet sich mit deutschen Worten an das Publikum, welches  an seinen Lippen hängt und wagt sogar die Aufforderung zum Mitsingen. Die Leute sind schnell  bereit und mit warmer rauer Stimme treibt er diese an- bemerkenswert! Am liebsten würde man ihn gleich für ein Wohnzimmerkonzert buchen – stünde da nicht schon der nächste Headlines auf der Bühne, bereit zum Abrocken.

Und so ist es dann auch: Adam Angst geben die Leute das Festival- Gefühl zurück. Ein wenig Beatsteaks, ein wenig Ärzte, die Bandmitglieder allesamt Rampensäue aus diversen anderen Formationen (FJØRT etc.) kennen das Rezept ihrer Musik. Hinter den Herren prangt das Plattencover der neuen Scheibe Neintology. Wie gesagt, die Truppe weiß den Hunger des  gemeinen Indirockfans zu stillen und mit den neuen Songs im Gepäck bleibt die Feierstimmung erhalten. So ist es für The Baboon Show ein Leichtes, die Leute dort abzuholen, wo Adam Angst es zurückgelassen hat – ganz oben.

Die Schwedenpunker lieben die kleinen Venues und sind sich trotz internationalem Erfolg nicht zu schade auf einer so kleinen Bühne wie der Second Stage zu spielen – Sängerin Cecilia gibt sich gewohnt publikumsnah und verbringt die meiste Zeit auf den Monitor und Bassboxen zwischen Securitygraben und   Publikum, ist ständig in Bewegung, in Pose und gewohnt souverän präsentiertsich das tourerprobte Quartett und knallen dem feierwütigen Publikum ihre Mischung aus 70s Rock, Garagenpunk und Powerpop vor den Latz. Nach einem dichten 45-Minuten-Set verabschieden sich die Schweden und die Leute begeben sich durch den kühlen Spätsommerabend vor die Hauptbühne, um den letzten Headlines in Empfang zu nehmen.

Kettcar sind alle Hasen, festivalerprobt und professionell, auch wenn das Saarland kein Heimspiel ist (was die Jungs in schnoddrigem Hamburgerisch mehrmals betonen), so scheint sich doch jedermann wohl zu fühlen. Man ist doch erstaunt, wie viele bekannte Songs die Jungs in ihrer 17-jährigen Karriere bereits hinterlassen haben. Vor riesigen LED Wänden, die Straßenszenen und Auszüge aus Musikvideos der Band zeigen spielen diese ein fantastisches Set. Teilweise speziell für die aktuelle Tour entwickelt fangen die Filmsequenzen wunderbar die Stimmung des melancholischen Indipopsounds der Hamburger ein.

Einen schöneren Ausklang eines gelungenen Tages hätte man sich wahrlich nicht wünschen können. Wir sehen uns wieder, Rockaway Beach Festival, keine Frage!

Sebastian Wienert

Redakteur und Fotograf