Ruhrpott Rodeo – Der Punk kommt nach Saarbrücken
Das Ruhrpott Rodeo kann auf eine über 15-jährige Tradition zurückblicken und hat sich zu einem der angesagtesten deutschen Festivals für Punkrock aus aller Welt gemausert. In der Metropole Hünxe bei Bottrop laden weltbekannte Stars oder solche, die es noch werden wollen zum gemeinsamen Pogo und zum Feiern ein, egal aus welchem Lager der alternativen Musikszene sie stammen. Sensationell, dass in diesem Jahr mit Ruhrpott Rodeo on the Road eine feine Auswahl dieser Künstler das Kultfestival in einige Städte in ganz Deutschland gebracht haben. Dies wollten wir uns nicht entgehen lassen und tauchten deshalb gleich zum Auftaktkonzert am 07.06.2023 in der Garage Saarbrücken auf, um uns das verheißungsvolle Line Up mal genauer anzuschauen!
Los gehts mit der sächsischen Combo The Dead End Kids, die man keineswegs mit der amerikanischen Schauspieltruppe aus den Dreißigern verwechseln sollte. Die Leipziger freuen sich schon sichtlich über den noch eher dürftig besetzten Konzertsaal und verarbeitet die über achtstündige Anreise zu positiver Punkenergie auf der Bühne. Die Band mit ihren Wurzeln und der DIY und Punkszene scheinen alle ihre Vorlieben miteinander zu verbinden. Sie versprühen Glitzerpower (diese zieht sich wie eine Linie durch das Set und über die Gesichter der Musiker*innen), machen dabei klare Punkansagen, und sprechen sich mit ihrem klassischem Deutschpunksound gegen Nazis und Diskriminierung und für Gerechtigkeit und in der Welt aus. Songs wie „Alternative“, „Kartoffelsalat“ (bester Song des Sets) und „EGO“ kommen mal sozialkritisch und manchmal willkürlich daher und handeln unmittelbar und ungeschönt vom Leben.
Als altes Urgestein der links-alternativen Punksszene treten Slime unerwartet früh im Lineup, dafür seit 2021 mit neuem Sänger auf, und steigen mit „Komm schon klar“ ein. Sie ernten sofort viel Applaus. Da schaut man einmal auf sein Handy, schon ist der Laden voll. Der enorme Zuspruch gefällt den Hamburgern natürlich und sie liefern, wonach es den Zuhörern verlangt: Ein Querschnitt durch ihre Karriere. In „Linke Spießer“ und „Religion“ steuern die Nordlichter das Schiff in den Hafen der Gesellschaftskritik, mit „Schweineherbst“ („Deutschland, ein Land kotzt sich aus“) und „Deutschland (muss sterben)“ wird’s dann doch politisch und „Alle gegen alle“ und gegen Ende die standesgemäße Nummer „Weil f*ckt euch alle“ stellt die Dinge schließlich klar.
Es wird Zeit für ein Bierchen und eine Prise Humor. Ein Expertentrio hierzu baut bereits die Bühne um, denn Dritte Wahl bringen mit dem ersten Ton trockenen Humor und beste Laune in die Garage. Rostocker Wohlfühlpunk mit Hitgarantie handeln von den richtigen Themen, die mal ernst, mal bierernst besungen werden. Sozialkritik und Politik hin oder her, da wird einfach über die Sachen gemeckert, die einem im Leben so umtreiben. Musikalisch etwas von der reinen Pubkbesetzung weg sind die Songs trotz der Keyboardpassagen, die eine Prise Neue Deutsche Welle versprühen, fantastisch grölbar und eingängig.
Gemäß dem Motto „Det is Punkrock heut Abend und das tut weh“ ist ein Lied auch Christian Lindner gewidmet: „Das regelt der Markt“. „Kneipenviertel am Hafen“, wohl eine Hommage an ihre Heimat, dem hanseatischen Rostock funktioniert ebenso prächtig wie „Zusammen“, letzteres wiederum ist herrlicher Punknonsens mit hoher Wahlbeteiligung im Publikum, das derweil seinen Bewegungsbedarf mit Crowdsurfing und Pogokreisen stillt. Überhaupt ist die Interaktion der Bands mit dem Publikum an diesem Abend phänomenal und auch die Dritte Wahl flirten ständig mit dem Publikum, springen auf die Podeste an der Bühnenkante und laden zum Mitsingen ein. Schließlich dankt das Publikum mit einem großen Singkreis und lautem Jubel. Mit Gunnar und seinen Mannen verlässt ein erstes Highlight um 19:40 Uhr unter den Gesängen zu „Fliegen“ die Bühne.
Um in der Halbzeit die Stille zu ertragen, stillen die meisten Besucher in der ausverkauften Halle ihren Durst mit Bier und man wartet auf Betontod. Diese betreten mit regelrechter Rockstarpose die Bühne, passen aber mit ihrem Sound und ihrer Gesinnung gut ins Portfolio des Abends. „Zeig dich, sei laut!“ Ist das Motto, denn so positionieren sie sich gleich mit klarer Kante gegen Nazis, und ihre Fans tun es ihnen gleich. Bald schwenken diese Fahnen mit antifaschistischen Motiven, unter anderem auch eine „FCK AFD“ Fahne, welche Sänger Oliver Meister zwischenzeitlich übernimmt und wieder abgibt. Die Band spielt mit stetiger Energie und die Stimmung ist einfach riesengroß und neben den „Alerta Antifaschista“ und „Nazis Raus“ Chören keineswegs aggressiv. Während der Sets aller Bands begegnen uns am laufenden Band selig grinsende Gesichter, die sich von der hart arbeitenden Security im Bühnengraben auffangen lassen , um gleich den nächsten Crowdsurfing-Anlauf starten. Sicher, Alkohol macht gesellig, daher fordern auch Betontod kurz vor dem Ende des Sets schließlich: „Wir müssen aufhören weniger zu trinken“. Eine Weisheit am Abend, welche noch mehrfach aufgegriffen werden soll.
Nach kurzer Umbaupause werden ZSK auf die Leute losgelassen und die haben „total Bock“, wie sie selbst bekunden. Eine Kennenlernphase gönnen auch sie dem Publikum nicht, denn mit ihrem agilen Skatepunk/Melodic Hardcore mit Mitsingcharakter bringen Sie den Laden auf Zack. Ständig hängt Sänger Joshi mit mindestens einem Körperteil im Publikum, feuert Wassersalven ins Publikum und animiert das ganze Haus zum Durchdrehen. ZKS sehen sich aber auch auf einer Mission, verachten Nazis und deren Einfluss („Alle meine Freunde hassen die AFD“), fordern uneingeschränkte Solidarität mit der Letzten Generation und verteidigen deren Ziele, verurteilen den Krieg und motivieren zum Aktionismus „Make Racists Afraid again“ (dafür kommen auch noch die Mitmusiker der Dead End Kids nochmals auf die Bühne), um Missstände zu überwinden. Im Song „Die Kids sind okay!“ verteidigen sie auch eine Generation, der sie schon entwachsen sind und versprühen einen einnehmenden Optimismus. Super finden alle natürlich Bier, daher wird davon auch fleißig Freibier ans Publikum verteilt. Schließlich läuten Konfettikanonen und Sirenen den Höhepunkt des Sets ein.
Was bleibt noch zu sagen? Der Headliner kann den Abend eigentlich kaum noch besser machen. WIZO nimmt sich für den Aufbau am meisten Zeit, aufwändig bemalte Boxen und Podeste werden viel versprechend platziert. Und um 22.15 geht es endlich los: WIZO, souverän und wie bei einem gelungenes Familientreffen feuern gleich aus allen Rohren. Die Ingolstätter kennen ihre Stärken und wissen das Publikum gleich da abzuholen, wo es sich befindet: Ganz oben. Mit klarer Kante „Das nächste Lied ist gegen den Staat und all die anderen Arschlöcher“ spielen die Headliner ein Set, dass alle Facetten ihres Schaffens berücksichtigt. Banner und Fahnen werden im Publikum hochgehalten und es geht zu wie bei einer Meisterfeier, ach was sag ich, wie bei einem Königsbesuch. Und dazwischen wird gepogt, getanzt und von Revolution gesungen oder dem Frohsinn des Punks gefröhnt („Seegurke“) und sich über Neues (Neue Platte „Nichts wird wieder gut“ und die dazugehörige „Tour wird wieder gut“, die in Saarbrücken startet!) und Altes berichtet, indem man das provokante wie selbstkritische Lied „Das Goldene Stück Scheisse“ spielt, welches vor 30 Jahren die Welt erblickte. Axel und Ralf geben auf der Bühne alles und springen in der warmen Halle von Bühnenrand zu Bühnenrand.
Auf Geschichten und Thesen („Was früher die Gestapo war ist heut das BKA“) sowie Nachdenkliches folgt Der Pipi Langstrumpf-Song und alle drehen hohl. Mit dem Schunkellied „Alte Frau“ zeigt sich auch die musikalische Vielfalt der Schwaben und während wir draußen an den ganzen Menschen vorbeischunkeln, die sich die Welt schöngetrunken haben, überlegen wir bereits in welchen Tourbus wir uns schmuggeln sollen, um dem Tourzirkus des Ruhrpott Rodeo bis zum fulminanten Finale in Bottrop ab dem 30.06.23 zu folgen. Was für ein großartiger Abend!
Fotos: Andreas Schieler