Seit 25 Jahren pure Energie: Beeindruckende Skunk Anansie Show in Wiesbaden
Eine angenehme Atmosphäre herrscht auf dem belebten Gelände des Schlachthofs in Wiesbaden, während wir durch den frischen Juliabend stapfen, um ein paar Geister aus der Vergangenheit live zu erleben. Die Band Skunk Anansie, die mit ihrer polarisierenden Frontfrau Skin Mitte der Neunziger die Musikszene aufmischten, gastiert auf ihrer ausgedehnten 25 Jahre-Jubiläumstour am heutigen 15.07.2019 auch in Wiesbaden.
Bereits vor dem Erscheinen des Debutalbums „Paranoid & Sunburnt“ hatte man schon viel gesehen, hat die Musikszene viele Extreme hervorgebracht, doch was da 1995 aus dem Londoner Untergrund ans Tageslicht kroch, war etwas Besonderes, eine aggressive energiegeladene „Urgewalt“ (Zitat: Schlachthof) voll positiver wie negativer Energien und Emotionen. Die Band mischte die Alternative Musikszene auf, wie es seit Rage Against the Machine nicht mehr passierte.
Am heutigen Abend startet die Band Allusinlove aus Großbritannien mit tragend-energetischem Indierock und die voll besetzte Halle wird in blaues Licht getaucht. Das Schlagzeug wummert und die Gitarre legt sphärisch-geheimnisvolle Riffs über das gespannte Publikum, von dem sie warm empfangen werden. Emotional geht es zu und unverkennbar britisch klingen die vier Jungs aus Leeds. Das passt gut zum Programm der Headliner und der Sänger versucht mit seiner emotional-mitreißenden Stimme selbstbewusst die Menge zum Mitklatschen zu bewegen. Die endsechziger psychedelischen Bluesriffs erfüllen die Halle und verbreiten eine eigenartige sowie ansteckende Energie. Auch wenn die Band den meisten nicht bekannt gewesen sein dürfte, sie liefern einen perfekten Soundtrack für eine Band, die ihren Grundstein in den Neunzigern gelegt hat.
Doch der Headliner wird mit zunehmender Begeisterung erwartet. Schon während des letzten Songs der Opener drängen die Leute gen Bühne, ein bunt gemischtes Völkchen aller Altersklassen, junge, alte, alternative, queere und straighte Leute, auch Vater mit Sohn bzw. Tochter tummeln sich hier in gespannter Erwartung. Die Lichter fahren zur Showtime um 21:15 Uhr herunter. Mit bohrenden Drum-and Bass-Beats brettern die ersten Takte des ungestümen Charlie Big Potato aus den Boxen. Skin erscheint im surrealen Lackjacket mit kastigen Schultereinsätzen, als hätte es Jean Paul Gautier exklusiv für sie designt (hat er vielleicht auch). Sie trägt eine Maske, befremdlich und insektenartig. Vor Scheinwerfern, die wie Waben aussehen, hüpft und schreit ihren Text in das Mikrofon. Alsbald zieht die Powerfrau ihre Maske ab, so als ob sie sich Häuten würde. Mit jedem weiteren Song zeigt sich die eigenwillige Schönheit etwas mehr aus, legt etwas von ihrer Hülle ab.
Der Sound ist satt: wuchtige Drums tragen die großen Refrains, unterstützt wird das Quartett von einer Background Sängerin, die sich im Verlauf des Abends nicht nur für die Backing Vocals, sondern auch für sämtliche Programmings, Percussions etc. verantwortlich zeigt. Die Songs „All in the name of pity“ und „I can dream“ lassen die Halle springen. Sie haben in 25 Jahren nichts von ihrer Energie eingebüßt. „You’ll follow me down“ als reduzierte Akustikversion belegt die musikalische Bandbreite von Skunk Anansie, allerdings wird die Stimmung des Abends auch durch das Zusammenspiel von durchdachter Beleuchtung und der Dynamik geschaffen, welche das Gesamtwerk der Band ausmacht. Und davon hat die Band reichlich: Skins Tonumfang (er wird auf vier Oktaven geschätzt) und die Art, wie sie ihre Stimme einsetzt, ist einzigartig. Dabei bleibt sie so frech und anarchisch, dass Pipi Langstrumpf nach Hause gehen kann.
Es wird wieder rockiger, Radio tauglicher und Skin schultert eine Telecaster zu „My Ugly Boy“. Mit „Twisted“ kommt man wieder zum erfolgreichen zweiten Studioalbum zurück und spätestens mit „Weak“ dämmert uns doch so langsam, wie verdammt viele Hits die Band über die Jahre produziert hat. Das ist dem Publikum auch bekannt, welches selbst die hohen Passagen wortgetreu mitsingt. Dabei bedienen Skunk Anansie viele bekannte Knöpfe erfolgreicher Populärmusik, ohne diese voll zu adaptieren. Denn die Band könnte unterschiedlicher nicht sein. Schlagzeuger Mark und Ace an der Gitarre verziehen keine Miene, liefern aber glänzend ab, Bassist Cass, dessen Bassline oft eher spür- denn hörbar ist, ist eine auffällige Erscheinung, nicht nur aufgrund seiner beeindruckenden Dreadlocks. Und schließlich Skin, die Frontfrau, der Dreh- und Angelpunkt jeder Skunk-Anansie-Show.
Ob zu „I Believe“ in oder zum ruhigeren „Hedonism“, sie ist ein sich ständig bewegender Derwisch auf der Bühne, mit einer ungeheuren Aura und expressiver Mimik. Ihre Backgroundsängerin, die den Gesang hervorragend doppelt oder unterstützt, füllt noch die letzten Takte und macht den runden Sound komplett. Gleißende Weißstrahler streuen kaltes nüchternes Licht, wechseln dann zu einem warmen Ton, pointieren die Musiker und lassen sie Schatten werfen, so dass man den Beleuchtungstechniker getrost als das sechste Mitglied der Band bezeichnen kann.
Politisch waren Skunk Anansie eher in ihrer Anfangszeit, was demnach heute Abend keine große Rolle spielt, doch ganz ausklammern möchte die Band dies nicht. Als weltoffene Londoner sehen sie z.B. den Brexit als „big pile of shit“. Gleich im Anschluss folgt eine flammende Rede für alle Freiheiten des Individuums und wofür die freie Welt stehen muss. Kein Wunder, dass Skin die Leute auffordert NEIN zu Homophobie, Rassismus und Diskriminierung von Gesellschaftsgruppen zu sagen, denn auch sie hatte aufgrund ihrer Bisexualität und ihrer androgynen Erscheinung mit Vorurteilen zu kämpfen. Das passt perfekt zur Haltung, welche der Wiesbadener Kulturklub selbst vertritt und das Schlachthofpublikum applaudiert Ihr dafür. Die Sängerin wirkt dabei stark und selbstbewusst, ihre „I can do what the fuck I want“-Attitüde verleiht ihr eine unglaubliche Bühnenpräsenz.
Mit „Hedonism“ („this song started everything for us“) nimmt der Abend Stadionausmaße an, indem wirklich alle den bittersüßen Refrain mitsingen. Ein neuerer Song springt wie ein jagender Tiger auf die Leute, roh, bluesig und Riff lastig: „This is war“ holt die alte Energie zurück und die Strobos glühen, während der Song wie ein langsam gedrehter Prodigy Song ausklingt. Dann folgt „Intellectualize my blackness“, welches aktueller denn je erscheint und eine große Hymne auf die weiße Borniertheit der Gesellschaft liefert.
Zwischendurch wird eine große Trommel auf die Bühne getragen, auf welche Skin zum irren Stakkato von „Tear the Place up“ eindrischt. Wie ein Paukenschlag endet um kurz vor halb zwölf das Set, bis Skunk Anansie wieder auf die Bühne geklatscht wird und mit „Brazen“, der neuen Single „What to do For Love“ das Ende einläuten. Skin huldigt nochmals die Vorband, was eine Person von diesem Bekanntheitsgrad immer sympathisch macht, und nicht ohne Ironie wird die Band zu AC/DCs „Highway to Hell“ vorgestellt. Das hektische „The Skank Heads“ entlässt uns in die Nacht.
Why don’t you weep? Tun wir doch schon längst, aber nicht nur, weil uns die Melancholie wehmütig macht, sondern auch weil wir uns auf neue Musik unserer neuen-alten Lieblingsband Skunk Anansie freuen. Auf die Vergangenheit und auf heute und auf die Zukunft!
Fotos von Andreas Schieler