Steiffen in Saarbrücken feiert 24 Jahre Sexualverkehr mit jeder Menge Emotions und Feelings
Ganz Saarbrücken ist in fester Rockerhand – nein, das stimmt nicht, mussten wir feststellen. Wir schauen uns um und stellen fest. Was da aus der Mottenkiste gekrochen und sich in dieser lauen Nacht am 05.03. vor der Saarbrücker Garage eingefunden hat, ist ohne Zweifel ein handfestes Steiffenpublikum. Ob groß oder klein, korpulent oder dünn, schwul, hetero, jung, alt, hübsch oder mit Vorsatz häßlich- alle sind bester Laune!
Wir treten ein und frequentieren sogleich die Bar, denn ein wenig, so unsere Befürchtung, werden wir uns die ungewohnte Atmosphäre schön trinken müssen. Weit gefehlt, denn schon das opulente Merchandise-Angebot versöhnt uns mit dem Ausflug in neue musikalische Gefilde und die Bühnenausstattung lässt gleich vermuten: hier wurde im Vergleich zur letzten Tour eine Schippe draufgelegt. Christian Steiffens wohlklingender promiment platzierter Name prangt in wechselnden Farben in der Bühnenmitte und verspricht noch mehr Glamour als auf der letzten Tour. Wir warten gespannt.
Der erregierte Barde wird von einem bereits singenden Publikum empfangen und die Garage, sonst eher schwarz gehalten, erstrahlt in quietschbuntem Schlagerscheinwerferlicht. Selbstbewusst und ohne Vorgruppe kommt der Meister nach eigener Anmoderation mit dem überaus passenden Opener „Wie schön, dass ich hier bin“ und löst im Publikum bereits die ersten Verzückungsrufe von Männern wie von Frauen gleichermaßen aus. Zugabeschreie vor dem ersten Ton erfüllen die Menge mit Freude – es ist eben immer gut, wenn man über die eigenen Witze lachen kann. Ein Konzept, dass dem Entertainer wohl am besten bekannt ist.
Die Bandbesetzung ist gewohnt überschaubar: Christian, sein Keyboarder und der großartige Tommy Scheller am Saxophon unterstützen ihn. Es ist seltsam, wie ohne vollständige Rhythmusgruppe ein Livefeeling entstehen kann. Doch das Geheimnis liegt in der Nähe zum Publikum, zu dem der gelernte Schauspieler ständig Kontakt aufnimmt.
Scheinwerferbestückte Ventilationstürme scheinen im neuen Budget ebenfalls drin zu sein. Die Kulisse der professionell ausstaffierten Bühne erinnert an die Schaufenster namhafter Kaufhäuser. Eingelassene Halogenstrahler beleuchten die Garderobe und Instrumentenkammer des Meisters, über selbigen prangt sein prominenter Künstlername und wechselt je nach Stimmung des Liedes die Farbe. Klotzen nicht kleckern heißt es hier. Die Musik ist lupenreiner Schlager, textlich mit viel Augenzwinkern und einem Hang zum Exzess, der sich meist in den eingängigen Refrains mit orgasmischen Zuckungen über seinem treuen Publikum ergießt. Mit offenen Mündern recken sie sich ihm entgegen und singen so ziemlich jeden Zweideutigkeit mit Inbrunst mit, den sich Christian überlegt hat- vermutlich bei einer Flasche Bier oder zwei und auch alles andere macht der Tausendsassa selbst. So lässt er es sich nicht nehmen die Hall- und Echoeffekte selbst zu produzieren. Handgemachte Musik eben.
Christian spielt eine bunte Mischung aus alten Evergreens und neuen Hits: „Hier ist Party“ kommt mit Original Neunzigerjahre Eurodance-Rap-Einlage. Derweil fließen Bier und Prosecco literweise. Dann kommt die Erleichterung: die Geheimtipps des neuen Longplayers, das realsatirische „Ich breche in die Nacht“ und das hedonistische „Schöne Menschen“. Der kleine Dämpfer, dass das Bier kurzzeitig alle ist, lässt die Zugabechöre des textsichersten Publikums der Welt nicht verstummen.
Weitere Highlights wie das Playbackduell mit einer Dame aus dem Publikum folgen. Jessica aus Blieskastel übernimmt den anspruchsvollen Playbackgesang bei „Du und ich“ und man liegt sich in den Armen. Berührungsängste wegen Corona? Kein Thema hier, und das Polyester von Christians Rüschenhemd saugt sich nach und nach voll mit dem ehrlichem Arbeiterschweiß des Maestros. Ganz großes Kino!
Die Hymne Auf Alltagsarroganz, „Die dicksten Eier der Welt“ und das großartige „Selbstmitleid“ zeichnen die politische Seite des Entertainers aus. Trotzdem schreien die Vergnügungssüchtigen im Publikum ständig nach Schweinkram wie „Sexualverkehr“. Klar, kommt noch, aber die Osnabrücker Rampensau lässt sich davon nicht aus dem Konzept bringen. Schließlich ist alles freiwillig („Nichts kann, alles muss“).
Für die Büttenrede gewappnet wird sich ins Jacket geschmissen und „Kack Kack, Karneval“ sowie „In Budapest beim Schützenfest 1810“ heizen auf. In speziell designter Fransenjacke folgt die lebensbejahende Botschaft Tu mal was verrücktes (Lass ruhig mal einen fahren). Dazu wird die Nebelmaschine voll aufgedreht, denn der gelernte Elvis-Imitator weiß Stimmungen zu verkaufen. „Ich fühl mich Disko“ ist der krönende Abschluss eines gelungenen Abends mit dem Gott of Schlager. Damit alle zum Höhepunkt kommen ertönt das langersehnte „Sexualverkehr“ und bringt Kehlen, Hosen und Boxen zum bersten. Wie aus einem Mund singen die bunten und kollektiv erregten Besucher des Etablissements die Steiffen-Hymne auf Liebe, Herz- und Hodenschmerz, und entspannt schippern wir auf dem Kutter der Liebe aus der Garage, und freuen uns auf unser Bett, während der Kapitän standesgemäß als letzter das Schiff verlässt.