Temple of Love im Nebel: The Sisters of Mercy begeistern in Wiesbaden
„Temple of Love“, „This Corrosion“ und „More“. Wer in den 90er seine Junegnd verbracht hat, ist um die Hits von The Sisters of Mercy nicht herumgekommen. Die Briten um Mastermind Andrew Eldritch sind nach zwei Jahren (unser Bericht) am 17.10.2019 erneut in den Schlachthof Wiesbaden zurückgekeht, wo schon Tage zuvor wieder „ausverkauft!“ für den Abend verkündet wurde. Zwar gibt es seit „A Slight Case of Overbombing“ von 1993 immer noch kein neues Material, dennoch hallt der große Ruf der einstigen Ikonen bis in die Gegenwart nach, vor allem bei der heutigen Ü40-Generation.
Aus dem Regen der einsetzenden Dämmerung drängen die Fans in die kultige Halle, um auch der Vorgruppe zu lauschen. So betreten A. A. Williams im spärlichen Licht aber vor vollem Haus die Bühne. Im Trance ähnlichen Zustand bewegt sich bzw. eher ruht das Trio zu ihrer Musik, welche sehr getragen und schwermütig, zu weilen psychedelisch, wirkt. Schnelle Riffs oder harte Beats erwartet man vergeblich. Tanzbarer Gothrock, der die gut gelaunte Masse auf den Headliner anheitzt, ist eher Fehlanzeige. Stattdessen gibt es traurige Pianomelodien, die sich unter die kaum geschlagene Gitarre mischen. Dementsprechend ist auch der Gesang der Sängerin, die leise und langezogen – fast im liturgischem Stil – ihre Worte kaum verständlich ins Mikrofon singt. So kommt nur wenig Stimmung auf und im Schlachthof widmet man sich überwiegend lieber beim kühlen Bier im Smalltalk seinen Mitmenschen als dem Geschehen auf dem Podium. Nach 40 Minuten wird A. A. Williams unter Beifall verabschiedet und es ist Zeit für den heiß ersehnten Headliner.
Als die ersten Töne von „More“ zu hören sind, steigt die Stimmung schlagartig. Eingehüllt in mächtige Nebelschwaden erscheinen The Sisters Of Mercy aus dem Dunst. Sänger Andrew Eldrich, einziges verbleibendes Mitglied aus der Urbesetzung, gibt sich mit Ansprachen zurückhaltend, aber ist dafür bei den Liedern wieder gut bei Stimme. Sein tiefer, ruhiger Gesang ist maßgeblich prägend für das Klangbild der Band. An seiner Seite ergänzt Ben Christo, der langjährige Gitarrist, den Frontmann gesanglich, während aus der Tiefe der Nebelwand die Synthesizer-Drumbeats durch den Schlachthof hämmern. Im wechselnden Licht der Spots kommen schon früh die alten Hits, neues Material gibt es schließlich (noch) nicht. Nicht nur der erneute Ausverkauf sondern vielmehr ausgelassen feiernden Kinder der 90er zeigen ganz klar, hier werden nichtsdestotrotz die unvergessenen Klassiker gewünscht und stellenweise lautstark gefordert. Natürlich entäuscht Eldritch seine treuen Fans keineswegs. „Dominion / Mother Russia“, „Doctor Jeep“, „Crash and Burn“ und „No Time to Cry“ finden nach wie vor den Weg in die Playlist. Über 60 Minuten lang singen und tanzen die Anhänger der Gothrock-Schwestern in mitunter Schweiß treibenden Bedingungen im Nebel der alten Zeiten, bevor schließlich The Sisters Of Mercy die Bühne vorerst verlassen. Zurück auf der Bühne brennen die vier Musiker dann das heiß erwartete Hit-Feuerwerk ab. „Lucretia My Reflection“ startet die Zugabe, gefolgt von „Vision Thing“ und „Temple of Love“. Das finale Highlight stetzt traditionell „This Corrosion“, was im frenetischen Applaus ausklingt und noch lange die Band in der Halle hält. The Sisters Of Mercy haben sich von ihre starken Seite gezeigt und entlassen heute viele Fans glücklich sowie zufrieden in die verregnete Herbstnacht.