The Adicts – British Punk Invasion in Frankfurt
Seit 43 Jahren treiben The Adicts nun schon ihr Unwesen und die Welt des Punk wäre um einiges ärmer ohne sie. Die fünf Herren aus Ipswich sind immer noch in Originalbesetzung unterwegs und stellen auf ihrem letzten Longplayer „And It Was So“ unter Beweis, dass Punkrock made in England 2017 keineswegs an Relevanz verloren hat. Heute, am 21.10.2018, macht der Punkzirkus in der Batschkapp Frankfurt Halt und alle Droogies kommen aus ihren Behausungen gekrochen, um seinem Ruf zu folgen.
Die Vorgruppe, das Würzburger Quartett Hazel The Nut , liefert klaren, gefälligen Skatepunk und bringt die noch nicht ganz ausgelastete Halle auf Betriebstemperatur. Die Band wird vom Publikum dankbar angenommen und mit zunehmender Lautstärke beklatscht. Kein Wunder, denn der melodische Punkrock mit seinen poppigen Refrains und die sichtbare Spielfreude der Jungs stecken an, auch wenn bisweilen ein wenig das Augenzwinkern fehlt, welches diesem Genre eigentlich gut steht.
Genug Zeit hat man allemal, um sich in den Hallen des Frankfurter Kultladens umzusehen. Hier versammeln sich nach und nach Punker, Ex-Punker und Lebenskünstler aus locker vier Geburtsjahrzehnten. Einige der Anwesenden tragen auch Melonen (die Hutform) und sind weiß gekleidet, ganz so wie die Droogs oder Droogies aus Stanley Kubricks Kultfilm Clockwerk Orange, der auch die Bühnenoutfits der Adicts bis heute beeinflußt. Als die Headliner die Bühne betreten drängen die Fans nach vorne und warten gespannt darauf, dass das Intro, ein Auszug aus dem Soundtrack zu Clockwerk Orange, verstummt und die Punk Rock Show beginnen kann. Lässig steht Schlagzeuger Michael Davidson auf seinem Set, hinter Ihm prangt das überlebensgroße Konterfei der Band, vor deren Schriftzug ein Abbild des Sängers Keith, der mit irrem Blick und Clownsfratze nach dem Publikum zu greifen scheint. Die Band wusste sich schon immer zu inszenieren und die Fans erwarten auch heute nach über 40 Jahren nichts Geringeres als eine perfekt inszenierte Bühnenshow – und diese sollen Sie auch bekommen.
Als Sänger Keith „Monkey“ Warren auf der Bühne erscheint, ist er zunächst in ein schimmerndes Tuch gehüllt, welches er zu den ersten Akkorden sogleich ausbreitet wie die großen Schwingen eines Vogels. Darunter verbirgt sich eine bizarre Figur, zum Joker geschminkt, im schneeweißen Anzug mit bunten Punkten. Kunst, Glamour, Zirkus, Theater und eine Prise Wahnsinn verbinden sich in dieser Person, die sofort die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Mit großen Gesten und Panatomimeeinlagen kokettiert Warren mit dem Publikum und versprüht die groteske Aura des verrückten und unberechenbaren Clowns, eine vielschichtige Kunstfigur, die sich jeden Moment in ein wildes Tier verwandeln könnte. Es ist unmöglich die Augen abzuwenden.
Fast hätte man vergessen, dass man aber eigentlich wegen der Musik da ist. Und diese rückt nun trotz der Showeinlagen in den Mittelpunkt und offenbart die wunderbare Welt der Adicts, Wegbereiter des britischen Punks. Mit wenigen Ansagen knallt die Band einen Song nach dem anderen heraus. Die Stimmung ist fantastisch und der Katalog der Band ist umfangreicher als erwartet. Das Set ist kurzweilig und abwechslungsreich und wischt den Vorwurf Punk sei primitiv und demnach eintönig mit einem Schlag vom Tresen.
Es knallen Konfettikanonen, Spielkarten werden ins Publikum geschleudert, das Varieté des Punkrock zeigt, dass die groteske, verzerrte Kunstwelt wunderbar mit diesem Musikgenre fusioniert. Ein Regenschirm mit Glühbirnen beleuchtet verleiht Monkey einen Hauch Fred Astaire, während sich vor der Bühne im Publikum beim Pogo die Streetcredibility erworben wird. Ohne Pause hetzt die Band in der ersten Hälfte des Sets von einem Song zum nächsten ohne große Worte zu schwingen. Die übrigen Bandmitglieder, passend zum Image in Weiß, zeigen enorme Spielfreude, lachen, rocken und konterkarieren die theatrale Ernsthaftigkeit ihres Frontmanns, ohne sie in Frage zu stellen. Bisweilen entwickelt sich eine ungeheure Energie („We want you to fuck it up“) und die Songs mit Gassenhauerqualitäten über Sauftouren und andere Alltäglichkeiten scheinen live eigentlich erst ihre ganze Energie zu entfalten.
Die Bühnenprofis wissen ob ihrer Wirkung und ergießen ein Punkgewitterüber die Menge, jede Rückkopplung wird perfekt platziert und das Charisma des zunehmend textilfreieren Sängers bleibt ungebrochen. So wundert es nicht, dass gerade die erste Stunde des Sets (Leitsatz: Who spilled my beer?) dazu einlädt ausgelassen zu feiern, und Keith verteilt zwischendurch Bier aus Dosen genussvoll in die geifernden Becher der Fans der ersten Reihe. Man riecht das feuchte vom Lager aufgeweichte Holz britischer Pubtische, auf denen man den Rhytmus mitklopfen möchte. Unentwegt und wie ein Magier zaubert Monkey Banderolen, Konfetti etc. aus seinen Beuteln. „He’s the man he is an animal“ stellt Adicts-Gitarrist Pete Dee Davidson den Frontmann vor, während der sich herumliegende Fetzen in den Mund stopft.
Nach gut anderthalb Stunden Non-Stop-Show mit gigantischen Luftbällen, Konfetti und alle anderen bereits erwähnten Registern, welche die Band gezogen hat, verlässt man die Batschkapp mit der Erkenntnis, dass gute Livebands und -shows einfach durch nichts zu ersetzen sind. Genauso wenig, wie solche Bands, die uns an die Wurzeln der Gitarrenmusik erinnern, weil sie diese gesetzt haben. Eine großartige Party – Made in England – geht zu Ende.