The Dillinger Escape Plan auf Abschiedstournee im Schlachthof Wiesbaden
Es ist eine Reise wert, wenn sich eine so außergewöhnliche Band wie The Dillinger Escape Plan auf Abschiedstournee begibt, erst recht, wenn der Nachholtermin, der 25.06. gut drei Monate nach dem eigentlichen Auftrittstag terminiert werden muss. Die Europatournee begann bereits im Winter 2016 und musste aufgrund eines folgenreichen Unfalls mit dem Tourbus in Prag unterbrochen werden und Band und Crew waren gezwungen, die Europadates zu verschieben und ihre loyalen Fans, welche bereits fieberhaft auf eine letzte Dosis präzise gespielten und vielschichtigen Metal-Math-Hardcore-Punk mit Jazz und Funkanleihen (die Liste der Einflüsse ließe sich hier fast unendlich weiterführen), warten zu lassen. Sie sollen nicht enttäuscht werden …
Die Spannung ist bei Betreten des Wiesbadener Kulturzentrums im Schlachthof zu spüren, das lässt sich nicht leugnen und die Vorband WARSAWWASRAW leisten ihren Beitrag, das Publikum auf das ungewöhnliche Hörvergnügen vorzubereiten. Mit vertrackten Math- und Harcoreeinlagen klingt die Zweierbesetzung aus Schlagzeug und Gitarre/Gesang überraschend dicht und brachial, und stimmt das Publikum darauf ein, dass dieser Abend nicht einfach nur Pogo zum Mitwippen wird, sondern ein gutes Maß an Konzentration erfordert.
Dann ist es soweit: Das Publikum ist erwartungsvoll, der Sicherheitsdienst wirkt etwas angespannt, denn alle im gut besuchten Schlachthof fiebern dem Konzert entgegen. So verwundert es nicht, dass sich die Euphorie in der Halle bereits mit dem ersten Lied entlädt wie der Druck aus einem fest zugedrehten Ventil. Schweißtreibend und technisch perfekt liefern The Dillinger Escape Plan, wofür die Leute gekommen sind. Dabei bedienen sie das mitschreiende Publikum bestens, mischen altes und neues Material und leisten sich über 30 Minuten lang keine Verschnaufpause, weder dem Publikum noch sich selbst. Ständig sucht bzw. schafft sich Gitarrist Ben Weinman neue Möglichkeiten auf der Bühne, um abzuspringen, ohne dabei das eigene komplexe Spiel zu beeinflussen. Durch die anfangs recht Stroboskob geprägte Lightshow lässt sich die Position der Bandmitglieder oft schwerer ausmachen als der Takt.
Musikalisch werden Grenzen geöffnet, die vermeintlich unsichtbar schienen und unvorhergesehen Breaks oder Tempowechsel schaffen die genreübergreifende Mischung, die dem Ohr des Zuhörers, geschult oder laienhaft, einiges an Konzentration abverlangen (im Grunde genommen genau das, was unsere Elterngeneration einstimmig als unhörbaren Krach abtun würden). Wer sich dennoch darauf einlässt, der findet bald ein komplexes musikalisches Gewebe, welches einem ausgeklügelten Konzept zu folgen scheint- dies gilt auch für die Umsetzung der Liveshow – Chaos mit System. Vieles wirkt extrem, schwer zugänglich, und doch hat man nicht den Eindruck, dass der Band jedes Mittel recht ist, um Extreme unterzubringen, sondern diese werden gekonnt platziert und erfordern eben auch vom Zuhörer Hingabe. Wer nur Abrocken will, der sollte sich vielleicht andere Konzerte aufschauen.
Große Gesten und ein eingängiger Chorus holt das überforderte und reizüberflutete Gehirn wieder zurück als die Band nach etwa 50 Minuten Konzert die Mitsinghymne „One of us is the Killer“ anstimmt. Nach einer guten Stunde lässt sich die Band unter „Dillinger“-Rufen, die in der Rückkopplung des letzten Songs verhallen, für die Zugabe nochmals auf die Bühne bitten. Ein paar ganz große Musiker verlassen hier die Bühne und werden hoffentlich bald wieder in verschiedenen anderen Formationen mitwirken, um mit ihrem Können die Szene zu bereichern.