Wörrstadt: Metalszene feiert die 15. Ausgabe des NOAFs
Ganz Rheinland-Pfalz, so scheint es, ist von Popmusikfans besetzt. Ganz Rheinland-Pfalz? Nein. Denn eine kleine Gemeinde namens Wörrstadt bei Mainz widersetzt sich seit nunmehr 15 Jahren erfolgreich dem Mainstream und bedient junge wie alte Fans der harten Klänge einmal jährlich mit einem zweitägigen Livespektakel, dem Neuborn Open Air Festival (NOAF).
Stoner und Metaller, Rocker und Punker, Hardcore- und Nu-Metalfans trafen sich auch dieses Jahr wieder am 24. und 25. August am Rande des Ortes auf der Jubiläumsausgabe des Neuborn Open Air Festivals, welche jedes Jahr friedlicher, abwechslungsreicher und ausverkaufter ist – und auch in diesem Jahr für uns bei Wave of Darkness zu den Highlights der Festivalsaison zählt.
Den Anfang machen die saarländischen Metaller von Godslave, die mit ihrem aggressiven Thrash-Metalsound, dem fauchenden Gesang von Frontmann Thommy und den zahlreichen Tempiwechsel wie ein Weckruf in Richtung Campinggelände wirken. Das Gelände ist trotz gutem Wetter noch übersichtlich bevölkert, aber wer da ist, macht mit. Skull Fist aus Kanada geben ein solides Metalbrett im Stile von Mötley Crüe zum Besten. Aufgepeitscht von der guten Stimmung holen die energetischen Vier aus Torronto alles aus dem überschaubaren Pulk vor der Bühne heraus, die schnell mit an Bord sind und Fäuste in die Luft werfen. Mit geschmeidigen mehrstimmigen Gitarrenläufen bringen sie die Leute an diesem heißen Tag zum Abgehen. Am Ende lässt man die Band kaum gehen.
Dagoba schwemmen dann schon deutlich mehr Leute vor die Bühne. Die Franzosen mit dem futuristisch apokalyptischen Bühnenbild (Ketten-Mikroständer, ein Drumsetgestell wie aus einem MadMax Film entsprungen) spielen Metal mit Hardcore- und Grindelementen, durch Elektro- und Industrialeinspieler wird der brachiale Sound noch unterstützt. „Let’s go Newborn!“ shoutet Sänger Shawter, und genau das passiert! Die Überraschungaufsteigerband des Jahres, Jinjer, hat in den letzten Monaten kaum ein relevantes Festival ausgelassen und beehren das NOAF schließlich bei moderater Abendsonne. Im wohl einzigen neonfarbingen Outfit des Abends tritt die stimmgewaltige Tatiana Shmailyuk ihren Dienst an. Vertrackt und virtuos liefert die ukrainische Urgewalt dem zunächst etwas überforderten Neuborner Publikum eine astreine Show, dabei zeigen sie sich erstaunlich vielseitig: Rapcore, Techmetal, Hardcore, in jedem Genre scheint das Quartett zuhause zu sein und zeigt sich in großartiger Liveform.
Stoner-rockiger kommen zur Dämmerung die 1000mods daher. Gleich Tito and Tarantula kriechen die knarzigen Riffs in unsere Ohren und die Mid-Temponumnern mit dem bluesigen Gesang senken sich über die friedlich feiernde Menge, die noch ein wenig Kraft schöpfen kann, bevor Hatebreed den Acker niederbrennt brennen wird. Die 1000mod sind wieder tanzbarer, eingängiger, als die Vorgängerband, aber das Rad erfinden sie nicht neu. Dennoch: die Eskapaden ins Psychodelische haben eine sogartige Wirkung und die Leute saugen es auf wie ein Schwamm.
Zeit bei einem Bier, einem Cider oder einer Pfälzer Schorle und eine Mahlzeit zu sich zu nehmen oder bei einer Zigarette über Sinn und Unsinn meterhoher Marshall-Türme zu diskutieren bleibt immer, denn das NOAF erspart uns das stressige Zwei-Bühnen-Konzept einiger namhafter Festivals. Dabei ist die Stimmung immer fantastisch, die Preise moderat und dieses Jahr das Wetter einwandfrei.
Zum Einbruch der Dunkelheit schreien die Headliner Bury Tomorrow schreien ihren Opener unverhofft in die Nacht. Der Platz vor der Bühne hat sich beachtlich gefüllt. Die agilen Briten stehen auf den Monitorboxen und haben kaum Mühe die Menge für sich zu gewinnen. Eine leidenschaftliche Ansage zum Abgehen und die Menge tobt und wütet. Mit agilen New Hardcoresounds und viel Bewegung auf der Bühne peitscht Sänger Daniel die Crowd an. Überhaupt findet er warme Worte, um die Menge für ihre Unterstützung zu loben und bekommt den erhofften Circlepit serviert.
Um zehn vor elf und mit eingespieltem Applaus kommt schließlich der Publikumsmagnet Hatebreed zum letzten Aufbäumen der Massen. Noch direkter liefern die Vorzeigehardcore-Banditos ihre Message in die Nacht. Die Band lässt dem Publikum wenig Zeit durchzuschnaufen, gönnt sich auch kaum eine Pause und peitscht durch das Set. Gelegentliche Statements von Sänger über die Band, deren Geschichte oder zur Beweihräucherung des eigenen Drummers unterbrechen ein abwechslungsreiches Set, das an allen wichtigen Stationen der Bandgeschichte Halt macht. „This is now“ and „To the Threshold“, aber auch alte Klassiker wie „Smash your Enemies“ aus dem Jahr 1995 lassen kaum einen Zuschauer enttäuscht zurück, als diese sich abgekämpft und guter Dinge das Festivalgelände verlassen, um für den nächsten Festivaltag Kraft zu schöpfen oder sich auf dem Campingplatz vollends zu zerstören.
Der zweite Tag beginnt ebenso energetisch wie sonnig, denn Motorowl bauen gekonnt Spannung auf und kombinieren lässig Stoner- und psychedelische Elemente der 70er, ein Sound aus schwer dräuenden Gitarrenriffs und gekonnten Breaks. Sänger Max verausgabt sich bei leidenschaftlichem Gesang, der an die amerikanischen Emobands der 90er erinnert und man vermutet, dass nur die hohen Temperaturen das Publikum vom ausgelassenen Tanzen abhält. Der Applaus verrät aber restlose Begeisterung. Mit einem plakativen „HABT IHR BOCK AUF ROCK“ folgt eine Schweinerock-Nummer, die aber stets von den durchdringenden Keyboards begleitet werden. Eine Spezielle Mischung, die aber wunderbar aufgeht. Noch dazu spielt die Gruppe dynamisch ihr volles Spektrum aus. Lediglich die Gesangslinien ähneln sich bisweilen etwas. Basser Tim spielt rhythmisch und bissig, das Fundament liefern Gitarren und Keys. Tatsächlich ist der Sound am größten, wenn die Musiker in episch angelegte Instrumentaleskapaden ausbrechen.
Im Anschluss machen Asomvel schnell klar, wohin deren Reise geht. Ähnlichkeiten mit Motörhead sind natürlich rein zufällig. Dennoch: es rockt, es knallt und ein junger Dave Mustaine-Doppelgänger am Plexidrumset machen die Zeitreise perfekt. Der Platz füllt sich schnell mit Interessierten, die sich vom schnellen und direkten Sound anstecken lassen. Ein fettes Brett, welches das Trio aus Liverpool da abliefert. Mit stark britischem Akzent knödelt sich Sänger und Bassist Ralph durch die Songs. Unterhaltsam, aber es fehlen doch ein wenig die Eigenständigkeit. Egal, they do what they came for. Auch wie aus dem DeLorean entstiegen präsentieren sich Enforcer und bringen alte Werte des Hardrock an den Start. Die Bühne wird zu 80ger-Rock Sounds in Nebel gehüllt, als ob der aufgewirbelte Staub nicht schon genug wäre. Die hübschen Schwedenboys liefern die perfekte Zeitreise, freuen sich sogar in „West Germany“ zu sein. Ob das als Gag gemeint ist, wissen wir nicht. Aber große Refrains und Poseralarm schaffen ein kurzweiliges Vergnügen mit Hitsound! Das hohe Falsetto kündigt den letzten Song Midnight Vice an.
Zahni hält nach deren Auftritt eine bewegende Rede, um in diesen Zusammenhang im Rückblick an 15 Jahre NOAF an verstorbene Fans und ehemalige Besucher zu gedenken, die ebenfalls das zeitliche gesegnet haben und erntet warmen Applaus.
Die anschließende pausenbedingte Entschleunigung nutzen viele, um die Speicher zu füllen und um den Abend einzuläuten. Nocte Obducta aus Mainz springen für Benediction ein, die es aus logistischen Gründen nicht zum NOAF schaffen, später dann aber doch noch ihr Set abliefern. Die Mainzer Band hat es nicht leicht, immerhin ist die Enttäuschung über die Absage Benedictions spürbar und die Neulinge betonen übermäßig oft, wie spontan und unvorbereitet man auf den Auftritt ist. Doch das Publikum groovt sich ein und beschert ihnen dennoch einen warmen Empfang. Blackmetal und Avantgarde kursieren als Genrebezeichnung, so ganz einordnen lässt sich das Mainzer Quintett dahingehend nicht, auch wenn die düstere Grundstimmung vorherrscht. Dennoch schleichen sich (Deutsch-)Punk und Stoner Riffs/-allüren ein. Bassist Heidig fällt durch sein Erscheinungsbild im Freizeithemd etwas aus der Reihe. Und Bier spielt offenbar auch eine tragende Rolle.
Das Biertrinkersyndrom treibt auch die deutschen ThrashMetal Helden von Tankard (deutsch: „Bierkrug“) an. Diese waren schon einmal zu Gast auf dem NOAF und fackeln mit der angereisten bierseligen Fangemeinde den Acker ab. Die Stimmung ist riesig und die betagten teils vollschlanken Herren jagen mit großer Spielfreude über die Bühne, legen Kilometer zurück. 37 Jahre Bandgeschichte, nie wirklich kommerziell erfolgreich, aber nie weg gewesen. Heute Abend werden sie wie Stars gefeiert und es tut ihnen sichtlich gut. Derweil wird gedived, gepogt und sogar ein Kerl lässt sich mit einer Bierbank hochheben. Diese wird für „das einzige Liebeslied des Abends“, „Rectifier“, auf die Bühne gehoben, so dass sich die Herren eine zehn sekündige Pause gönnen. Weiter geht’s „A girl called Cerveza“. Die Schunkelhymme „Empty Tankard“ beschließt das unterhaltsame Set der Bielefelder Thrasher. Da kommt noch Zahni auf die Bühne und fetzt mit der Band mit. Grandios. Derweil surfen Sofas durch die Menge und Zahni ist genießt die Früchte seiner Ernte.
Benediction sind inzwischen eingetroffen und geben immerhin eine Signing Session. Wir verneigen uns vor den feierwütigen Leuten und der Band und warten in der Nacht darauf, dass Amorphis den Sack zumachen. Diese wissen eine Headliner Show zu gestalten. Mit aufwändigem Licht und Charisma gelingt den Finnen wieder ihren atmosphärischen Soundteppich über die Menge zu legen. Ein Growl des Sängers und unter Applaus beginnen die Nordlichter aus Helsinki ihre eigenwillige Metal-Show, eine eingängige Mischung aus Melodic-Death und Progressive Metal, die durch Einsprengsel finnischer und arabischer Klänge weit über die Grenzen der Metallergemeinde Anklang finden dürfte. Eine grandiose Metalshow beendet also den zweiten Festivalabend, wären da nicht noch Benediction, die um kurz vor zwölf nochmal mit einem fetten Set das Jubiläumsfestival zu eine, fulminanten Ende verhelfen. Wir verlassen mit einem Lächeln das Festivalgelände und freuen uns schon auf die nächsten 15 Jahre Liveshows bei Wörrstadt jenseits von Mainstream und Pop. Danke NOAF!